Änderung des Stammzellgesetzes - Rede zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs
Erste Beratung des von den Abgeordneten René Röspel, Ilse Aigner, Jörg Tauss und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes
(Drs. 16/7981) am 14. Februar 2008.
Diese Rede können Sie sich hier auf Bundestags-TV anschauen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen René Röspel. - Bitte schön, Sie haben das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor sechs Jahren
haben wir an dieser Stelle eine grundsätzliche Debatte über die
Forschung mit embryonalen Stammzellen geführt. Vorangegangen war der
Antrag eines Forschers an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sich den
Import embryonaler Stammzelllinien aus dem Ausland finanzieren zu
lassen. Es gab damals in Deutschland keine Rechtslage, wie damit zu
verfahren ist. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat den Antrag so
lange zurückgestellt, bis die Politik ein Votum dazu abgeben konnte.
Wir haben viele Monate, fast anderthalb Jahre, in der Öffentlichkeit,
in den Medien, in der Politik und im Parlament sehr intensiv darüber
diskutiert. Die Enquete-Kommission hat im November 2001 einen sehr
umfassenden und auch heute noch lesenswerten Bericht zur
Stammzellforschung abgegeben. Der Nationale Ethikrat folgte wenige
Wochen später. Wir haben damals sehr viele Fragen aufgeworfen: Ab wann
beginnt das menschliche Leben? Ist der Embryo schon vom ersten Tag an
Träger der Menschenwürde? Wie geht man mit Stammzelllinien um, die ohne
unser Zutun - aber auch, ohne dass wir es hätten verhindern können - im
Ausland aus Embryonen hergestellt worden sind? Wie stark kann
Forschungsfreiheit eingeschränkt werden?
Wir haben weder als Enquete-Kommission noch in den Debatten
allgemeingültige Antworten finden können; das wäre bei dieser ethischen
Frage auch nicht möglich gewesen. Aber wir haben für die
Grundsatzentscheidung, die alle Mitglieder dieses Hauses für sich
allein und ihrem Gewissen verpflichtet am 30. Januar haben treffen
müssen, Entscheidungshilfen geben können. Die übergroße Mehrheit hat
damals entschieden: Für deutsche Forschung soll kein Embryo zerstört
werden. Margot von Renesse, eine ehemalige Kollegin, drückte es damals
so aus: nicht in Deutschland und auch nicht im Ausland. Es sollte von
Deutschland aus kein Anreiz an das Ausland gehen, dies zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber deutsche Forscher sollten - das war der Grundsatzbeschluss 2002 -
unter bestimmten Bedingungen mit bereits existierenden Stammzelllinien
arbeiten dürfen. Diese Grundsatzentscheidung führte zum
Stammzellgesetz, das wir im April 2002 beschlossen haben und das den
sogenannten Stichtag enthält, das heißt, vor dem 1. Januar 2002 im
Ausland hergestellte embryonale Stammzelllinien durften und dürfen nach
Deutschland importiert werden. Auch wenn ich persönlich bei der
Grundsatzentscheidung 2002 gegen den Import gestimmt habe, so habe ich
den Kompromiss, das Stammzellgesetz, im April 2002 mitgetragen, und
zwar aus guter Überzeugung. Er ist möglicherweise ein ethisch nicht
hundertprozentig konsequenter Kompromiss - wir haben es auch nie als
Kompromiss bezeichnet, sondern als Mittelweg -, aber er war ein guter
politischer und guter gesellschaftlicher Kompromiss.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Denn er hat die lange Debatte, die vorher stattfand, befriedet. Dieser
Rechtsfrieden hat auch seinen Wert. Ich bin froh, dass es sechs Jahre
lang gut vonstatten gegangen ist.
Heute und in den nächsten Wochen geht es darum, ob dieser Kompromiss,
dieser Mittelweg, Bestand hat, ob er auf Dauer in den nächsten Jahren
lebensfähig bleibt. Dazu gehört nicht nur die Einhaltung der ethischen
Grenzlinien, die wir 2002 gezogen haben, sondern eben auch die
Einhaltung des Versprechens an die Forschung, mit Stammzellen arbeiten
zu können. Genau das ist der Punkt, über den wir heute und in den
nächsten Wochen diskutieren werden.
Während der Grundsatzdebatte 2002 sind wir davon ausgegangen - das
stand auch so im Enquete-Bericht -, dass weltweit etwa 60
Stammzelllinien existieren. Mitt-lerweile wissen wir: Heute sind für
deutsche Forscher 21 Stammzelllinien verfügbar. Ich würde mir wünschen,
dass die deutschen Forscher mit diesen Stammzelllinien noch viele Jahre
arbeiten könnten; wer je mit Zellkulturen gearbeitet hat, weiß aber,
dass sie sich verändern. Nach meiner Einschätzung ist absehbar, dass
mindestens ein Teil dieser Stammzellen, die es heute noch für deutsche
Forscher gibt, nicht mehr für die intendierten Forschungszwecke zu
gebrauchen sein werden.
Im Antrag der Kolleginnen und Kollegen Hinz, Klöckner, Hüppe und anderer wird diese Position bestätigt. Ich zitiere:
Probleme, die durch die Kultivierung von menschlichen embryonalen
Stammzellen entstehen wie genetische/epigenetische Veränderungen,
treten bei allen menschlichen embryonalen Stammzellkulturen auf.
Embryonale Stammzellen sind im Allgemeinen instabil. Um über
genetisch/epigenetisch stabile Kulturen zu verfügen, müssen diese
regelmäßig ersetzt, also immer wieder neue Embryonen getötet werden.
Weiter unten heißt es:
... da auch neue embryonale Stammzelllinien durch die Kultivierung
genetische/epigenetische Veränderungen aufweisen und damit unbrauchbar
werden.
Ich sage: Das gilt natürlich erst recht für die 21 bestehenden
Stammzelllinien. Auch sie werden sich verändern, und zwar nachhaltig.
Neue Embryonen zu töten, wie es in dem Zitat zum Ausdruck kommt, wäre
mit den im Jahre 2002 vereinbarten ethischen Grundlinien nicht
vereinbar. Ich glaube, dafür gäbe es auch in diesem Hause keine
Mehrheit.
Ist denn der Ersatz oder die Ergänzung der bestehenden Stammzelllinien
möglich, ohne diese Grenzlinien zu überschreiten? Wie unserem
Gesetzentwurf zu entnehmen ist, meinen wir: Ja, das ist möglich,
nämlich mit einer einmaligen Verschiebung des Stichtags auf den 1. Mai
2007. Dann würde es dabei bleiben, dass erstens für deutsche Forschung
kein Embryo zerstört wird und dass wir dadurch zweitens dem Ausland
keinen Anreiz geben, dies zu tun. Denn es ist nicht anzunehmen, dass
bis zum 1. Mai 2007 irgendjemand im Ausland damit gerechnet hätte, für
Deutschland Stammzelllinien produzieren zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass laut DFG weltweit mittlerweile
etwa 500 Stammzelllinien beschrieben und anders, besser, etablierter
und stabiler in Kultur gehalten sind, als es die von vor sechs Jahren
waren. Vielleicht werden für deutsche Forscher in einiger Zeit 200 oder
noch mehr Stammzelllinien verfügbar sein. Das würde für viele Jahre
guter Forschung reichen.
Meine Damen und Herren, im Jahre 2002 haben wir aus meiner Sicht einen
guten Weg eingeschlagen. Die rot-grüne Bundesregierung hat den ethisch
unproblematischen Weg der adulten Stammzellforschung deutlich breiter
angelegt und darin investiert. Frau Bundesministerin Schavan hat sogar
noch eine Schippe draufgelegt. Sie setzt diesen Kurs hervorragend fort.
Beispielsweise hat sie ein Programm zur Reprogrammierung von
Stammzellen zur Förderung ausgeschrieben. Das ist ein
vielversprechender Bereich.
Wir haben in der letzten Zeit viel von den Arbeiten des japanischen
Forschers Yamanaka gehört. Er hat es tatsächlich geschafft, normale
Hautzellen des Menschen so weit zurückzuprogrammieren bzw. in einen
Zustand zurückzuversetzen, der fast dem einer embryonalen Stammzelle
gleicht. Daran wird das große Potenzial deutlich, das sich aus der
Entwicklung anderer Zellkulturarten ergibt. Das ist ein ethisch
unproblematischer Weg - so scheint es zumindest. Das ist nämlich nur
dann der Fall, wenn diese Hautzellen tatsächlich nicht zu embryonalen
Stammzellen zurückentwickelt werden, die Alleskönner sind.
Um das zu verhindern und die Grenze einzuziehen, dass diese Hautzellen
nicht so weit zurückentwickelt werden, dass sie wieder zu embryonalen
Stammzellen werden, braucht man zum Vergleich sicherlich embryonale
Stammzellen. Denn man muss der Frage nachgehen: Wann weisen diese
Hautzellen die typischen Charakteristika einer Stammzelle auf?
Möglicherweise bzw. vermutlich betont der japanische Forscher Yamanaka,
dessen erklärtes Ziel es ist, dazu beizutragen, dass zukünftig auf
embryonale Stammzellforschung verzichtet werden kann, dass aus seiner
Sicht in nächster Zukunft noch nicht auf embryonale Stammzellforschung
verzichtet werden kann.
Meine Damen und Herren, die Unterstützer unseres Gesetzentwurfes kommen
aus durchaus unterschiedlichen Richtungen. Frau Aigner und ich haben im
Jahr 2002 gegen den Import gestimmt, Kollege Tauss und Kollegin Reimann
dafür. Es gab sicherlich einige, die damals noch weiter hätten gehen
wollen und gehen können. Wir haben uns zusammengefunden, weil wir ein
gemeinsames Interesse verfolgen: Wir wollen den Kompromiss, besser
gesagt den Mittelweg von 2002 am Leben erhalten und fortführen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die anderen Vorschläge, die gemacht werden - die embryonale
Stammzellforschung ganz zu verbieten oder den Stichtag abzuschaffen -,
würden das sofortige Ende dieses Kompromisses bedeuten. Den Stichtag
unverändert beizubehalten, wie es in einem anderen vorliegenden Antrag
vorgesehen ist - ich habe ausgeführt, dass die Zahl der Stammzelllinien
sinken wird -, würde zu einem Austrocknen dieses Kompromisses führen
und hätte sein schleichendes oder vielleicht sogar schnelles Ende zur
Folge. Das wäre falsch.
Mit der einmaligen Verschiebung des Stichtages wollen wir den
erfolgreichen Mittelweg weiter beschreiten. Wir wollen keine Embryonen
zum Zweck der deutschen Forschung zur Verfügung stellen und dem Ausland
keinen Anreiz geben, das für die deutsche Forschung zu tun. Wir wollen
aber gewährleisten, dass deutsche Wissenschaftler in den nächsten
Jahren genug Arbeit haben. Ich lade Sie ein, den erfolgreichen Weg
dieses Kompromisses, der Rechtsfrieden im Land gebracht hat, mit uns
weiterzugehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)