"Papier der 60": Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken
Sozialdemokratische Arbeitspolitik, Weiterentwicklung der Sozialen Sicherungssysteme, ein besseres Bildungssystem, gerechtere Steuern: Damit sich die Schere zwischen Arm und Reich schließt, braucht es sozialdemokratische Antworten. Etwa 60 VertreterInnen
„Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken“
Der Befund des neuen Armuts- und Reichtumsberichts (ARB) der Bundesregierung zu den Lebenslagen in Deutschland fordert eine sozialdemokratische Antwort. Die Einkommensverteilung klafft so weit auseinander wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Ursache ist die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Schwächung der Tarifautonomie. Aber auch Bund und Länder werden in den letzten Jahren immer weniger ihrer Aufgabe gerecht, durch eine entsprechende Finanz-, Steuer-, Vermögensbildungs- und Sozialpolitik die Einkommen je nach sozialer Belastbarkeit und zum Wohle der Allgemeinheit umzuverteilen.
Das alles führt dazu, dass: die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, die Angst der Mittelschicht vor Armut wächst und die Aufstiegsmöglichkeiten geringer werden, weil die Eliten sich zunehmend abschotten.
Vermögensverteilung und Armutsrisiko
Die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich zeigt sich vor allem in der Verteilung der Vermögen. Rund zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland verfügen über kein oder nur ein sehr geringes Vermögen (laut 3. Armuts- und Reichtumsbericht besitzen 50% der Bevölkerung lediglich 2% des Vermögens).
Andererseits verfügen die wohlhabendsten 10% der Haushalte über mittlerweile fast 60% des gesamten Vermögens (2. ARB: 46,5%). So steigerten allein die 300 reichsten Deutschen im letzten Jahr ihre Vermögen um 80 Milliarden Euro auf 475 Milliarden Euro. Das Armutsrisiko lag im 1. ARB bei 12,1%, im 2. ARB bei 13.5% und im 3. ARB bei 18% (SOEP). Für Kinder ist das Armutsrisiko von 15% im Jahr 2003 auf 26% im Jahr 2005 (SOEP) angestiegen.
Beschäftigungssituation
Zwar ging die Arbeitslosenquote zurück (von 13% in 2005 auf 10,1% in 2007), die Armutslöhne nahmen allerdings zu. Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnbereich lag 2005 bei 36,4%. Ursache hierfür ist die massive Ausweitung des Niedriglohnsektors. Prekäre Beschäftigung drückt auf das allgemeine Lohnniveau (Lohndumping). Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen ist stetig gesunken: Von 19.255 Euro im Jahr 2002 auf 18.778 Euro im Jahr 2005.
Gleichzeitig kam es zu einer stark gestiegenen Spreizung der Lohneinkommen zwischen den Armutslöhnen einerseits und Managergehältern andererseits. Die Kaufkraft sinkt (Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Kraftstoff und Energie), die Mittelschicht schrumpft. Diese Entwicklung, die im 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aufgezeigt wird, müssen wir umkehren. Politische Entscheidungen der vergangenen Jahre, die diese Entwicklung bewirkt bzw. verstärkt haben, müssen korrigiert werden.
Klar muss sein: Die SPD ist die einzige Partei, die die Kraft und den Willen hat, Armut in Deutschland zu bekämpfen und Aufstiegschancen zu garantieren. Nach der Statistik, die im 1. und 2. ARB angewandt wurde (SOEP: Sozio-ökonomisches Panel), liegt die Einkommensarmutsrisikoquote 2005 bei 18% (2003: 13,5%) und ist die Armutsrisikoquote für Kinder auf 26% gestiegen (2003: 15%). Die Daten, die im 3. ARB nach der Methode EU-SILC (Community Statistics on Income and Living Conditions) erhoben wurden, zeigen eine nicht ganz so negative Bilanz, sind aber nicht vergleichbar. In der Öffentlichkeit darf nicht der Eindruck entstehen, die SPD würde im 3. ARB die Ergebnisse beschönigen.
Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken:
Durch sozialdemokratische Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik, Einführung eines gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohns, Beschränkung von Leiharbeit und Abschaffung der Befristung ohne Sachgrund, gleiche Rechte für LeiharbeiterInnen und Stammbelegschaft, Begrenzung der Höchststundenzahl im Rahmen eines Minijobs auf 15 Stunden, Einbeziehung aller Beschäftigungsverhältnisse oberhalb einer Bagatellgrenze in die Sozialversicherungspflicht, gesetzliche Regelung für Praktikanten/Praktikantinnen, Umwandlung der 1-Euro-Jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, Ausbau von Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, Ausbau des öffentlichen Beschäftigungssektors, insbesondere im vorschulischen und schulischen Bereich (Ganztagseinrichtungen mit qualifiziertem Personal).
Durch sozialdemokratische Bildungsoffensive, Recht auf Bildung für alle, flächendeckendes und gebührenfreies Angebot von Ganztagesbetreuungsangeboten und Ganztagsschulen, längeres gemeinsames Lernen: Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems, Gebührenfreiheit des Erststudiums und Eintreten für ein angemessenes BaföG, Weiterentwicklung des Übergangssystems - qualifizierte Abschlüsse statt Warteschleifen, Stärkung der Weiterbildung, durch einen starken Sozialstaat.
Entwicklung der Rente zu einer universalen Sozialversicherung (orientiert am Schweizer Modell): Alle zahlen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit ein, aus allen Einkommensarten und ohne Beitragsbemessungsgrenze. Mindestrente bei langjähriger Beitragszahlung oberhalb des Niveaus der Grundsicherung und Deckelung der Rentenhöhe. Zusätzlich obligatorische Betriebsrente. Zurücknahme der Rente mit 67, Fortführung der Altersteilzeitregelung und Einführung einer Altersgleitzeitregelung (flexible Übergänge ins Rentenalter). Teilrente attraktiv machen.
Entwicklung der Krankenversicherung/Pflegeversicherung zu Bürgerversicherungen und Finanzierung eines höheren Anteils aus Steuermitteln. Zurücknahme der Zuzahlungen und Praxisgebühren im Gesundheitswesen und Aussetzung des Gesundheitsfonds, Anhebung der Hartz IV-Regelsätze und Einführung eines eigenständigen Regelsatzes für Kinder, Ausweitung der einmaligen Bedarfe, deutliche Anhebung des Vermögensfreibetrages.
Durch gerechte Steuern: Wiedereinführung der Vermögenssteuer, weil bereits ein Vermögenssteuersatz von 1% zu Mehreinnahmen von 16 Milliarden Euro führen würde (bei einem Freibetrag von 500.000 Euro), die für Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung verwendet werden. Ausgestaltung der Erbschaftssteuer mit dem Ziel eines Aufkommens von wenigstens 10 Mrd. Euro, bei hohen Freibeträgen für Ehegatten und Kinder. Steuerwettbewerb begrenzen durch Harmonisierung des Unternehmenssteuerrechts und Gewährleistung von Mindeststeuersätzen auf europäischer Ebene, um die Steuerzahlung internationaler Unternehmen zu sichern.
Steueroasen trocken legen: Verstärkte Bekämpfung von Steuerhinterziehung durch personelle Verstärkung bei Betriebsprüfungen sowie Steuerfahndung durch die Länder und Erhöhung des politischen Drucks auf internationaler Ebene. Neujustierung der Progression bei der Einkommenssteuer. Die unteren und mittleren Einkommen müssen entlastet, höchste Einkommen stärker belastet werden. Wiedereinführung einer Entfernungspauschale mit einer spürbaren sozialen Komponente. Neuorientierung des Familienleistungsausgleichs: Vom Ehegattensplitting zu kinderbezogenen Leistungen.
Aufruf: Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken Für eine sozialdemokratische Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik - für eine sozialdemokratische Bildungsoffensive - für einen starken Sozialstaat - für gerechtere Steuern. Die SPD ist die einzige Partei, die die Kraft und den Willen hat, Reichtum zu nutzen, Armut zu bekämpfen und die Mittelschicht zu stärken. Über gerechtere Steuern und eine sozialdemokratische Arbeits- und Arbeitsmarktpolitik wollen wir eine Bildungsoffensive und einen starken Sozialstaat finanzieren.
ErstunterzeichnerInnen:
Klaus Barthel, MdB
Thomas Beyer, MdL Vorsitzender AWO Bayern, stellv. Vorsitzender Landtagsfraktion
Rainer Bliesener, DGB-Landesvorsitzender BW
Willi Brase, MdB
Leni Breymaier, Bezirksvorsitzende, Ver.di BW
Marco Bülow, MdB
Martin Burkert, MdB
Dr. Herta Däubler-Gmelin, MdB
Bernd Dreute, BR-Vorsitzender Krombacher Brauerei
Hartwig Durt, Gewerkschaftssekretär, Siegen
Prof. Dr. Dieter Eißel, Uni Gießen
Peter Falk, Vorsitzender Bezirkstagsfraktion Oberbayern
Udo Gebhardt, DGB-Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt
Renate Gradistanac, MdB
Gernot Grumbach, MdL, stellv. Landesvorsitzender Hessen
Wolfgang Gunkel, MdB
Rita Haller-Haid, MdL
Günter Hensch, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt, Siegen
Dierk Hirschel, DGB
Wolfgang Jörg, MdL, Vorsitzender SPD-UB Hagen
Herbert Kastner, Betriebsratsvorsitzender ThyssenKrupp, Bochum
Klaus Kirschner, ehem. MdB
Stefan Körzell, DGB-Gewerkschaftssekretär
Bärbel Kofler, MdB
Andrea Kocsis, Bundesvorstand Ver.di
Lothar Krauß, Vorsitzender Gewerkschaft Transnet
Wolfgang Kreissl-Dörfler, MdEP
Georg Kronawitter, Oberbürgermeister a. D.
Helga Lopez, MdB
Hanjo Lucassen, DGB-Landesvorsitzender Sachsen
Udo Lutz, AfA-Vorsitzender BW, Betriebsrat bei Bosch/Stuttgart
Lothar Mark, MdB
Claus Matecki, DGB-Bundesvorstand
Hilde Mattheis, MdB
Margret Mönig-Raane, Bundesvorstand Ver.di
Albrecht Müller, ehem. MdB, Journalist
Detlef Müller, MdB
Dietmar Muscheid, DGB-Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz
Wolfgang Otto, Betriebsratsvorsitzender ThyssenKrupp
Gerold Reichenbach, MdB
Sigrid Reihs, Landessozialpfarrerin Evangelische Kirche Westfalen
René Röspel, MdB
Christine Rudolf, MdL
Adelheid Rupp, MdL, AsF-Vorsitzende Bayern
Armin Schild, Gewerkschaftssekretär IG Metall
Horst Schmidbauer, ehem. MdB, Parteiratsmitglied
Guntram Schneider, DGB-Vorsitzender NRW
Paul Schobel, Betriebsseelsorger, Böblingen
Ottmar Schreiner, MdB
Lothar Schröder, Bundesvorstand Ver.di
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, ehem. MdB
Andreas Steppuhn, MdB
Jella Teuchner, MdB
Rüdiger Veit, MdB
Gerold Vogel, Vorsitzender Europäischer Betriebsrat ThyssenKrupp AG
Eberhard Weber, Gewerkschaftssekretär, Dortmund
Jürgen Weiskirch, Bezirksgeschäftsführer Ver.di, Siegen
Klaus Wiesehügel, Bundesvorsitzender IG Bau
Ludwig Wörner, MdL, AfA-Vorsitzender Bayern
Uta Zapf, MdB
Stand: 1. September 2008