Hightech-Strategie für Deutschland
Rede zum Ersten Fortschrittsbericht zur Hightech-Strategie für Deutschland
sowie zur Beschlussempfehlung und zum Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag "IKT 2020: gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)" und dem Antrag "Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive" (Drs. 16/5900, 16/5899, 16/6923)
An dieser Stelle können Sie sich die Rede auf Bundestags-TV anschauen.
René Röspel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns
heute hier versammelt, um das erste Jahr Hightechstrategie gemeinsam zu
betrachten. Das Ziel der Hightechstrategie ist es, Wirtschaft und
Wissenschaft in gemeinsamen Projekten und Kooperationen zu vernetzen,
weiter voranzubringen und vor allen Dingen neue Leitmärkte zu
erschließen und zu identifizieren; denn das braucht Deutschland als
Hightechstandort in der Welt.
(Beifall bei der SPD)
Deutschland steht als Exportweltmeister gut da. Dieser Erfolg wird aber
von relativ wenigen Branchen getragen. Der Vizepräsident des
Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hat das im Februar 2007
einmal so ausgedrückt:
Der FuE-Standort Deutschland
- also der Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland -
steht und fällt mit der Entwicklung im Kraftfahrzeugbau, der gut ein Drittel der FuE-Aufwendungen bestreitet.
Jeder dritte Forschungseuro wird im Kfz-Bereich ausgegeben. Jeder vierte Forscher arbeitet im Automobilbereich.
Dieser Erfolg kann zur Falle werden. Ein Fuhrunternehmer, der ein
starkes Zugpferd hat, auf das er seinen Erfolg gründen kann, bekommt
ein Problem, wenn dieses Pferd ausfällt, kränkelt, schwächelt oder gar
nicht mehr existent ist. Es kann seine Existenz kosten, wenn er nicht
rechtzeitig für Nachwuchs bzw. Ersatz gesorgt hat.
Deshalb ist es wichtig, über die Hightechstrategie neue
Innovationsbereiche zu identifizieren, in denen wir neue Technologien
entwickeln und damit auch sichere neue Arbeitsplätze in Deutschland
schaffen können. Deshalb ist die Hightechstrategie ein guter Schritt in
die richtige Richtung. Im vorliegenden Fortschrittsbericht wird eine
ganze Menge von Projekten genannt, die bereits begonnen haben und
positiv bewertet werden können.
Als Beispiel möchte ich die Umwelttechnik nennen. Frau Pieper, Sie
haben gerade zu Recht gesagt, dass die Liberalen immer gefordert haben,
dass Deutschland auf diesem Gebiet Technologieführer werden muss. Sie
haben das nur nie realisiert. Wir haben es gemacht, als wir 1998
zusammen mit den Grünen an die Regierung gekommen sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
In der neuen Koalition setzen wir das jetzt fort.
Der Bereich der Umwelttechnik ist ein klassisches Beispiel dafür, dass
Deutschland im Bereich Sonne und Wind mittlerweile an der Weltspitze
steht und da vernünftige Möglichkeiten des Ausbaus hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
420 Millionen Euro werden wir bis 2009 in diesem Bereich investieren,
um neue Technologien weiter zu heben und sie zu fördern, damit sie auf
dem Weltmarkt bestehen können.
(Beifall bei der SPD)
Immerhin sind wir Umwelttechnologieexporteur Nummer eins.
Frau Schavan schreibt im Fortschrittsbericht richtig, dass Ökotechnik
mittlerweile zum Jobmotor entwickelt worden ist. Das gilt für viele
Bereiche; man kann zum Beispiel die Gesundheitsforschung und
Medizintechnik nennen. Das ist eines der 17 Innovationsfelder, die
sicherlich und hoffentlich jeden von uns bezüglich neuer Technologien,
die wir nutzen können, betreffen werden. Im Bereich der optischen
Technologien, Mikrosystemtechnologien und Werkstofftechnologien werden
neue Materialien für das Exportland Deutschland entwickelt. Wenn wir
diese Technologien weiterentwickeln, werden wir am Ende sehen, dass wir
nicht nur den Export stärken, sondern auch eine positive Bilanz für
Umwelt und Klima und am Ende für die Arbeitsplätze im Inland ziehen
können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Bei allem Lob gibt es aber auch Kritik. Wir werden die
Hightechstrategie in einigen Bereichen kritisch weiter begleiten. Das
betrifft das Innovationsfeld Sicherheitsforschung. Auf Seite 42 im
Bericht steht - ich darf zitieren -:
Ziel der Sicherheitsforschung ist es, die Freiheit der Bürger zu schützen.
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Genau!)
Das ist falsch formuliert. Es weckt auch eine falsche Hoffnung. Ich
glaube, es wäre besser wie folgt formuliert: Ziel der
Sicherheitsforschung muss sein, die Sicherheit der Bürger zu
gewährleisten und weiterzuentwickeln, und zwar ohne Freiheitsrechte der
Bürger abzubauen oder einzuschränken.
(Beifall bei der SPD)
Dass es ein wichtiges Spannungsfeld ist, haben wir vor zwei oder drei
Wochen als SPD-Fraktion auf einer Konferenz zur Sicherheitsforschung
feststellen können. Dort haben wir uns den Fragen gewidmet: Wie kann
man eigentlich Sicherheit für die Bevölkerung feststellen und
sicherstellen? Wo liegen die tatsächlichen Bedrohungsszenarien? Die
Fokussierung auf die üblichen Punkte Terrorismus und Kriminalität ist
zu kurz gegriffen. Der Sicherheitsbegriff und die Bedrohungspotenziale
müssen weiter gefasst werden. Dazu gehören eben auch Naturkatastrophen;
das ist unstrittig.
(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das steht doch alles drin!)
Es ist klar: Wir brauchen einen breiter als bisher definierten
Sicherheitsbegriff. Ich persönlich glaube, dass - das haben wir, wenn
wir es nicht schon vorher wussten, auf dieser Konferenz eindrücklich
gelernt - die zunehmende Verwendung biometrischer Daten im öffentlichen
Bereich, zum Beispiel bei Personalausweisen, nicht unbedingt mehr
Sicherheit für die Gesellschaft bringt, sondern vielleicht sogar das
Gegenteil.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Das gilt es bei künftigen Entscheidungen zu berücksichtigen.
Ich will mich noch einem anderen Thema widmen, über das in letzter Zeit
diskutiert wird, nämlich der Frage, wie es mit der finanziellen
Förderung von Forschung in Deutschland weitergehen soll.
Klassischerweise fördern wir in Deutschland Institutionen oder
Projekte; wir geben staatliche Gelder, um Forschung zu finanzieren.
Aber es wird zunehmend darüber diskutiert, inwieweit man steuerliche
Anreize für solche Unternehmen entwickeln sollte, die Forschung und
Entwicklung betreiben.
Ich glaube, es ist wichtig, neue Innovationsfelder zu erschließen, die
von der Wirtschaft ohne staatliche Förderung nicht entwickelt worden
wären. Diese Beispiele gibt es im Umweltbereich und in vielen anderen,
die sich mittlerweile als Erfolg erwiesen haben. Wir müssen Impulse
geben und eine Anschubfinanzierung ermöglichen. Wichtig ist aber auch,
Mitnahmeeffekte in Bereichen zu verhindern, die sowieso von der
Wirtschaft erschlossen werden können.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wissing?
René Röspel (SPD):
Aber gerne.
Dr. Volker Wissing (FDP):
Kollege Röspel, Sie haben eben gefordert, steuerliche Anreize für
Unternehmen zu schaffen, die besonders viel in Forschung investieren.
Teilen Sie meine Auffassung, die übrigens auch von der
forschungsintensiven Industrie in Deutschland geteilt wird, dass die
Große Koalition mit der Unternehmensteuerreform gerade die forschenden
Unternehmen in besonderem Maße zusätzlich zur Kasse bittet?
(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)
René Röspel (SPD):
Erstens habe ich nicht gefordert, steuerliche Anreize einzuführen, sondern gesagt, dass eine Diskussion darüber ansteht.
(Lachen bei der FDP)
- Ja. - Ich will Ihnen durchaus selbstkritisch ein Beispiel nennen. Am
Montag ist im Rahmen der Hightechstrategie die Innovationsallianz
„Lithium Ionen Batterie LIB 2015“ gestartet worden. Sicherlich ist
grundsätzlich richtig, Energiespeicherung zu fördern. Dieser Bereich
ist hochinteressant. Es geht zum Beispiel darum, wie wir den Strom aus
Windkraftanlagen speichern. Zusammen mit einem Industriekonsortium, dem
BASF, Evonik, Volkswagen und Bosch angehören, wird nun Forschung
hinsichtlich der Lithium-Ionen-Batterie betrieben.
Das ist ein Bereich, der schon im Markt etabliert ist - diese
Technologie finden Sie beispielsweise in Ihrem Handy oder in Ihrem
Laptop - und den die Wirtschaft selber weiterentwickeln könnte.
(Zuruf von der FDP: Das hat nichts mit der Frage zu tun!)
- Das hat mit der Frage etwas zu tun. Schauen Sie sich einmal die
Finanzierung an! Das Industriekonsortium wird 360 Millionen Euro
beisteuern, das BMBF 60 Millionen Euro. Nun kann man sich darüber
unterhalten, ob Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betreiben,
steuerlich stärker gefördert werden sollten. Diesbezüglich ist es
hilfreich, die Bilanzen dieser Unternehmen zu betrachten.
(Zuruf von der FDP: Sie vertreiben sie gerade! - Gegenruf des Abg. Jörg
Tauss [SPD]: Halt! Halt! - Ulrike Flach [FDP]: Er redet von Batterien
statt von Steuern!)
- Nein, ich sage Ihnen eines ausdrücklich: BASF - eine der Firmen, die
diesem Industriekonsortium angehören - hat 2006 einen Überschuss nach
Steuern von 2 Milliarden Euro erwirtschaftet, und beim
Volkswagen-Konzern waren es nach Steuern 2,5 Milliarden Euro. Mit Blick
auf diese Zusammenhänge halte ich es für falsch, zu fordern, diese
Unternehmen auch noch steuerlich zu entlasten.
(Beifall bei der SPD - Zurufe von der FDP)
Die Antwort auf die zweite Frage. Die Unternehmensteuerreform hat für
viele Unternehmen Entlastungen gebracht, und sie wird es nicht
behindern, dass weiterhin Forschung und Entwicklung betrieben werden.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen muss man sehr kritisch sehen, in welchen Bereichen es nutzt
und in welchen Bereichen es zu Mitnahmeeffekten führen wird. Ich
glaube, dass die Mitnahmeeffekte überwiegen werden. Wir wissen, dass 88
Prozent der Forschung und Entwicklung in Deutschland von großen
Konzernen, dass aber nur 12 Prozent von KMU geleistet werden. Diese
müsste man eigentlich fördern. Ob wir dies über einen steuerlichen
Anreiz für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten erreichen können,
bezweifle ich stark,
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
und die Erfahrungen, die Frau Flach während einer Reise nach Kanada sammelte
(Jörg Tauss [SPD]: Spannend!)
und über die sie in der letzten Sitzungswoche sprach, waren
interessant. Denn dort stellt es sich nicht als so gut und interessant
heraus, wie Sie es uns hier gerade darzustellen versuchten.
Wir sind diesbezüglich sehr offen, und es wird im nächsten Jahr
Vorschläge dazu geben. Diese werden wir ernsthaft bewerten. Es darf
jedoch nicht sein, dass Mitnahmeeffekte entstehen. Ziel muss es
vielmehr sein, dass Politik und Wirtschaft gemeinsam Verantwortung
tragen. Die Politik macht das gerade, indem sie hohe Investitionen - es
sind weit mehr als 6 Milliarden Euro - für die Entwicklung neuer
Technologien bereitstellt. Gerade vor dem Hintergrund solcher
Gewinnzahlen, wie ich sie eben nannte, sind auch die Unternehmen
gefordert, statt Arbeitsplätze abzubauen, wie sie es zurzeit machen, in
mehr Personal zu investieren, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu
stellen, mehr gute Ingenieure einzustellen und den Anteil an F und E
über mehr Einstellungen von Menschen zu erhöhen. Dann bekommen wir
nämlich viele gute Zugpferde, die Deutschland weiter nach vorne ziehen
können.
(Beifall bei der SPD)