Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungsraum
Zu Protokoll gegebene Rede zum Grünen-Antrag 16/6454 "Kooperation und Koordination im Europäischen Forschungsraum verbessern"
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Vor der diesjährigen Sommerpause haben wir im Ausschuss für Bildung und
Forschung das Grünbuch der Europäischen Kommission „Der Europäische
Forschungsraum: Neue Perspektiven“ diskutiert. Dabei ging es um die
Frage, wie man den Europäischen Forschungsraum, welcher Teil der
Lissabon-Strategie von 2000 ist, vertiefen und erweitern kann.
Die Hauptaussagen des Grünbuchs werden nicht nur von uns Politikern,
sondern auch in der Wissenschaft debattiert. Denn die Anmerkungen
sollen später in ein Weißbuch münden, welches in der ersten Hälfte 2008
in Brüssel verabschiedet werden soll. Das Weißbuch wird die Grundlage
für das 8. Forschungsrahmenprogramm darstellen.
Im Grünbuch werden die Mitgliedstaaten aufgefordert „[..] breit
angelegte Erörterungen auf nationaler und regionaler Ebene [zur
Stärkung des Europäischen Forschungsraumes] einzuleiten.“ (S.27) Den
Antrag der Grünen können wir als weitere Gelegenheit wahrnehmen, dieser
Aufforderung nach zu kommen.
Die europäische Forschungslandschaft ist komplex. Auf zehn Seiten
versucht der Grünen-Antrag alle wesentlichen Aspekte und Strukturen der
Europäischen Forschungslandschaft anzureißen. Viele Punkte des Antrages
kann man begrüßen, sind schon Regierungshandeln oder sicher in diesem
Haus unstrittig. Andere Punkte müssten aber noch einmal diskutiert
werden. Auf diese werde ich jetzt kurz eingehen.
In dem uns vorliegenden Antrag wird das Europäische Technologieinstitut
(EIT) abgelehnt. Über diese Institution haben wir bereits öfters im
Ausschuss und Plenum gesprochen, zuletzt vor der Sommerpause.
Grundsätzlich teile ich viele der Bedenken gegen das EIT. Doch wie ich
bereits bei meiner letzten Rede zum EIT am 21. Juni dargelegt habe, war
dieses europäische Projekt nicht mehr aufzuhalten. Die Bundesregierung
hat in der Zeit Ihres EU- Vorsitzes mit ihrem damaligen
Kompromissvorschlag eine für alle Mitgliedstaaten akzeptable Lösung
gefunden.
Das Europäische Parlament hat mittlerweile am 26. September den
Kommissionsvorschlag für die Schaffung des EIT ebenfalls gebilligt.
Insofern stimmt Ihre Aussage, das Europäische Parlament würde das
Projekt ablehnen, nicht. Auch wenn die Finanzierung immer noch auf
tönernen Füßen steht und die Sinnhaftigkeit der Institution sich erst
noch zeigen muss, so ist die Entscheidung für ein EIT endgültig
gefallen. Das entbindet uns nationale Parlamentarier aber nicht von der
weiteren kritischen Begleitung. Spätestens die Evaluierung bis 2012
wird zeigen, ob das EIT die Erwartungen des signifikanten Mehrwerts
erfüllen kann. Der Forderung der Grünen aber kann die Bundesregierung
nicht entsprechen.
Ein weiterer Abschnitt in Ihrem Antrag beschäftigt sich mit Ethik und
Forschung auf europäischer Ebene. Sie schreiben auf Seite zwei des
Antrages „Eine ethisch verantwortliche europäische Forschung braucht
die offene gesellschaftliche Debatte über die Grenzen der
Nationalstaaten hinweg.“ Prinzipiell ist eine gesellschaftliche Debatte
über Grenzen hinweg, ob nun national oder anderer Art, immer zu
begrüßen. Die Darstellung und Konfrontation verschiedener Positionen
und der Versuch, zu mehrheitsfähigen Problemlösungen zu gelangen, ist
immer bereichernd.
Debatten werden aber normalerweise nicht nur der Debatte wegen geführt
– sie sollen Konsequenzen haben. Bleiben sie hingegen folgenlos,
stellen sich Politikverdrossenheit und Enttäuschung ein. Für den
Bereich der ethischen Fragen bedeuten Konsequenzen dann aber, dass
Kompromisse auf europäischer Ebene für alle Mitgliedsstaaten bindend
sein müssten.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise ein europäisches
Gremium darüber entscheidet, in welchem Umfang und mit welchen Grenzen
in Deutschland ethisch problematische Forschung möglich sein sollte.
Mal davon abgesehen, dass bereits die Auswahl der Vertreter der
deutschen Position sehr kompliziert werden würde. Welche Aufgabe hätte
denn der Bundestag in ethischen Grundsatzdebatten noch? Beim Deutschen
Ethikrat haben die Grünen noch vor einer Ent-Parlamentarisierung
gewarnt, nun kann man den Eindruck bekommen, sie forderten selbst eine
Verschiebung der Debatte auf die EU-Ebene.
Beim Thema Ethik ist es bereits auf nationaler Ebene schwierig einen
Kompromiss zu finden. Eine klare ethische Positionierung aller
EU-Staaten und nationaler Öffentlichkeiten kann ich mir deshalb derzeit
beim besten Willen nicht vorstellen. Wir haben und werden uns bei
ethischen Fragen in der Forschung noch lange nicht auf eine gemeinsame
europäische Position verständigen können.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die stärkere
europäische Koordinierung von nationalen Forschungsprogrammen. Als Ziel
wird dazu im Antrag genannt „[..] dass es dabei aus europäischer
Perspektive weder zu unsinnigen Doppelungen noch zu Lücken in den
jeweiligen Forschungsbemühungen kommt.“ Gegen Doppelungen anzugehen
macht sicherlich Sinn. Aber was genau sind „unsinnige“ Doppelungen? Es
kann durchaus sinnvoll sein parallel Forschungen durchzuführen. Die
diesjährige Vergabe des Nobelpreises für Physik an den Deutschen Peter
Grünberg und den Franzosen Albert Fert ist sicherlich das beste
Beispiel für positive Doppelung von Forschung! Beide haben unabhängig
voneinander, der eine in Jülich, der andere in Paris, am Magnetoeffekt
geforscht. Das Ergebnis dieses Wettstreits findet sich mittlerweile in
Form von Festplatten in jedem Computer wieder. „Doppelungen“ können
also Ansporn sein im Sinne von belebender Konkurrenz oder auch der
Versuch, das gleiche Ziel auf anderem Wege zu erreichen.
Lassen Sie mich noch ein paar weitere Worte zum Bereich der
europäischen Koordinierung von nationalen Forschungsprogramme sagen. Es
macht natürlich Sinn zu wissen, wo die Schwerpunkte der anderen
nationalen Forschungsprogramme liegen, in welchen Bereichen eine
Kooperation möglich ist und welche Bereiche vielleicht europaweit
vernachlässigt werden.
Eine prinzipielle Öffnung der einzelnen nationalen Forschungsprogramme
für alle Mitgliedstaaten erscheint mir dabei aber problematisch. Nicht
nur die Koordination könnte dadurch, wie im Antrag erwähnt, schwieriger
werden. Ich sehe viel mehr - und mit dieser Meinung stehe ich nicht
allein – die Gefahr von „Trittbrettfahrern“. Denn es existieren leider
große Unterschiede zwischen den staatlichen Ausgaben für Forschung und
Entwicklung in den einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten. Dass sich
einzelne Länder ihre Forschungsanstrengungen durch deutsche Programme
bezahlen lassen, kann nicht das Ziel eines vereinigten Europäischen
Forschungsraumes sein. Vielmehr müssen die einzelnen Mitgliedsstaaten
eigene Anstrengungen unternehmen, mehr in Forschung und Entwicklung zu
investieren.
Eine weitere Forderung der Grünen sind die verstärkte Bereitstellung
von Mitteln für wissenschaftliche Infrastruktur in den neuen
EU-Mitgliedsländern. Die östlichen EU-Neumitglieder mögen auf Grund
ihrer Historie eine schlechter ausgebaute Forschungsinfrastruktur
haben. Langfristig muss es deshalb das Ziel sein, dass exzellenten
Köpfen, egal aus welchem EU-Land, die passende Infrastruktur zur
Verfügung steht. Entscheidend für die Überlegungen zur Ansiedlung neuer
Forschungsinfrastruktur darf dabei aber nicht die Geographie, sondern
der wissenschaftliche Nutzen des Standortes sein. Und dieser muss nicht
zwangsläufig in den neuen Mitgliedstaaten liegen. Das muss aber nicht
automatisch bedeuten, dass man nur in Bestehendes investiert, sondern
auch offen ist für die Entwicklung von Potenzialen.
Soweit einige Anmerkungen zum Antrag. Lassen Sie mich als Fazit aber
noch sagen: Es ist eindeutig, dass wir auf die forschungspolitischen
Fragen des 21. Jahrhunderts nicht mehr allein nationalstaatlich
antworten können. Großprojekte wie der X-FEL bei Hamburg oder
Forschungsbereiche wie die Klimaforschung können nur gemeinsam
erfolgreich angegangen werden. Als logische europäische Konsequenz
daraus führt an einem gemeinsamen europäischen Forschungsraum kein Weg
vorbei! Bis zur Vollendung haben wir aber noch viele Schritte vor uns!
Im Forschungsland Deutschland – ich denke, bei zwei von drei
diesjährigen Nobelpreisträgern in naturwissenschaftlichen Kategorien
darf man dies wohl voller Überzeugung sagen – tun wir gut daran, uns
auch weiterhin an diesen Diskussionen und der Gestaltung aktiv zu
beteiligen. Der uns jetzt vorliegende Antrag der Grünen bietet uns
dafür, bei all seinen Defiziten, eine gute Diskussionsgrundlage.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.