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Wissenschaftler sensibilisieren, Gefahren ihrer Forschungen zu erkennen

09.06.2016

(Drucksache 18/18176)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne!

Erst einmal will ich den Grünen ganz herzlich dafür danken, dass wir dieses wichtige Thema, wie wir mit Hochrisikoforschung umgehen, diskutieren. Ich glaube, das ist auch kein politischer Diskurs, sondern ich verstehe diese Diskussion als ein Ringen um den besten Weg und die Lösung für ein Problem, das entstehen kann oder das wir von vornherein zu vermeiden versuchen müssen.
Wie ist die Diskussion entstanden? Vor etwa viereinhalb Jahren haben zwei Forschergruppen in Holland und in den USA das Vogelgrippevirus H5N1 untersucht. In China hat es sogar einige Todesfälle gegeben. Es befällt in der Regel Flugtiere, und offenbar nur bei engem Kontakt ist es ein Problem für Säugetiere. Diese beiden Forschergruppen haben sich die Erbinformationen dieses Virus angesehen und nach den Stellen gesucht, die möglicherweise dafür entscheidend sind oder dabei eine Rolle spielen, dass dieses Virus, das normalerweise nur Vögel befällt, auf den Menschen oder auf Säugetiere übertragbar ist.
Tatsächlich haben sie zwei oder mehrere Mutationen, also Veränderungen, dieser Gensequenz gefunden, die dazu führten, dass erstens das Virus auf Frettchen, eine Marderart, Säugetiere, übertragbar war und zweitens nicht über engen Kontakt, sondern über den Luftweg. Das hat für Besorgnis und Nachdenken darüber gesorgt, ob man dieses Ergebnis veröffentlichen, also in Fachzeitschriften publizieren kann. Am Ende haben sich die Weltgesundheitsorganisation und auch die amerikanische Aufsichtsbehörde entschlossen, den, wie ich finde, richtigen Weg zu gehen, Transparenz herzustellen und das Ergebnis zu veröffentlichen.
Damit sind zwei Möglichkeiten des Umgangs verbunden. Die erste Möglichkeit ist die Gefahr des Missbrauchs. Die zweite Möglichkeit ist das Nutzen solcher Ergebnisse.
Die Gefahr besteht zum Beispiel darin, dass man solche veränderten Viren, die Säugetiere oder Menschen befallen könnten, aus Laboren entweichen lassen kann, durch Zufall oder schlechte Arbeit. Ich glaube, dass diese Gefahr relativ gering ist, jedenfalls in den westlichen Laboren, wo es Kontrollen und hohe Sicherheitsstandards gibt; das will ich ausdrücklich sagen. Da haben wir eine Verantwortung, andere Länder zu unterstützen, bei denen die Wissenschaftskapazitäten und damit möglicherweise auch das Geld zurückgehen, ihre Wissenschaftler zu halten.
Der Gefahr begegnen wir in der Regel dadurch, dass wir unsere hohen Sicherheitsstandards aufrecht erhalten und dafür sorgen, dass solche Substanzen oder Viren nicht entweichen können. Bei solchen Fragen schwingt immer mit, dass die große Gefahr eher im Bioterrorismus bzw. darin besteht, dass Menschen unter üblen Voraussetzungen und mit üblen Gedanken veränderte Viren dazu nutzen könnten, terroristische Anschläge zu begehen.
Dieses Gefahrenpotenzial besteht. Aber wenn man sich einmal ernsthaft damit befasst – der Deutsche Ethikrat hat das in einer sehr guten und lesbaren Stellungnahme veröffentlicht -, ist das Gefährdungspotenzial – das muss man deutlich sagen – relativ gering. Erstens reicht es nicht aus, eine Gensequenz zu haben und sie sozusagen nachzubauen. Um das mit einem Vergleich deutlich zu machen: Wenn Sie zehn Leute das gleiche Rezept aus einem Kochbuch nachkochen lassen, dann wird es jeweils unterschiedlich schmecken. Das heißt, es braucht nicht nur die veröffentlichte Information, sondern auch viel Erfahrung im Umgang mit solchen Substanzen, um das handhabbar zu machen. Man braucht zweitens die technische Infrastruktur und die Möglichkeit, so etwas zu verbreiten. Das hatten wir Anfang der 2000-er Jahre, als in den USA, in Deutschland und Wien die Diskussion um die Verbreitung des Milzbranderregers Anthrax durch die Medien geisterte und mehrere Anschläge tatsächlich zur Gefährdung geführt haben.
Es braucht eine gute Infrastruktur, um so etwas verbreiten zu können. Es reicht nicht, dieses Virus herzustellen und einfach zu verbreiten, sondern man muss das technisch sehr geschickt machen und braucht entsprechendes Know-how, das in der Regel nicht Terroristen haben, sondern häufig Staaten. Das ist eine andere Ebene. Damit sind wir im Bereich des Zusatzprotokolls zur Biowaffenkonvention; da geht es darum, sicherzustellen, dass die fünf Länder, die noch nicht beigetreten sind, das Protokoll noch unterzeichnen.
Das ist die Gefahr, die bei einem solchen veränderten Virus entstehen kann. Aber es gibt auch Nutzen, wie eben schon im Zusammenhang mit der Spanischen Grippe erwähnt worden ist. Wenn man nämlich weiß, an welchen Stellen ein Virus so verändert ist, dass es für den Menschen gefährlich ist, dann weiß man möglicherweise auch, welchen Weg man einschlagen muss, um ein Gegenmittel oder einen Impfstoff zu entwickeln. Das ist die nutzbare Seite.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken ist sehr schwierig. Man weiß am Anfang noch zu wenig. Viele Tausend Menschen in Deutschland sterben an der „normalen" Grippe. Wenn man wüsste, an welchen Stellen man sie in den Griff bekommen könnte, das veröffentlichen würde und dann daran forschen würde, wäre das ein großer Fortschritt. Man forschte beispielsweise schon jahrelang an der Bekämpfung von Ebola. Wie wir vor anderthalb Jahren in den Medien leider sehen mussten, hat diese Krankheit zu großen Verlusten gerade in Afrika geführt. Es handelt sich hier um einen hochsensiblen und tödlichen Erreger, an dem trotzdem und leider viel zu wenig geforscht wird, und zwar mit der Zielsetzung, auf eine Ebola-Epidemie gefasst zu sein und Impfstoffe zu entwickeln. Diese hat man im letzten Jahr ganz schnell entwickeln müssen, ohne wirklich vorbereitet gewesen zu sein. Der Nutzen einer rechtzeitigen Forschung an solchen Erregern ist, Menschen und Gesundheit zu schützen. Aber die Abwägung zwischen Nutzen und Risiko ist sehr kompliziert.
Die Idee der Grünen entspricht dem, was der Deutsche Ethikrat vorschlägt: Wissenschaftler sollen ihre besorgniserregenden, biosicherheitsrelevanten Forschungsvorhaben einer Kommission vorlegen, damit diese entscheidet, ob sie forschen dürfen oder nicht. Das setzt zweierlei voraus: dass Wissenschaftler ausreichend sensibilisiert sind, abzusehen, welche Gefahren ihre Forschungen in sich bergen können, und dass eine Kommission die sehr schwierige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko treffen kann. Beides ist kompliziert. Der eigentliche Ansatzpunkt ist nach meiner Überzeugung, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst verantworten müssen, was sie tun können und was sie tun dürfen. Das ist der Punkt, an dem wir und die deutschen Forschungsorganisationen ansetzen.
Die Philipps-Universität Marburg hat den ersten Kodex für das Verhalten bei riskanten Forschungen auf den Weg gebracht.
Wir müssen die Wissenschaftler schulen, damit sie besser vorbereitet sind und erkennen, an welchen Stellen ihre Forschungen Gefahren bergen und an welchen nicht. Ich möchte – genauso wie es in der Anhörung vorgeschlagen wurde – der Wissenschaft und den Wissenschaftlern ausreichend Zeit geben, damit verantwortungsvoll umzugehen. Wir werden in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren – auch unter Mithilfe der Bundesregierung – genau beobachten, was geschieht. Wenn dann die deutsche Wissenschaft und die verantwortungsvollen Forscher nicht in der Lage sind, zu agieren, dann müssen wir über die Einsetzung einer entsprechenden Kommission reden. Das wäre aber der ungünstigste und schlechteste Weg. Über ihn sollten wir in vielleicht ein bis zwei Jahren als Notreserve diskutieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

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