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Wissenschaftsfreiheit ausbauen - Rede zu Anträgen der Oppositionsfraktionen

06.03.2008

Beratung des Antrags der FDP: "Wissenschaftsfreiheitsgesetz einführen - Mehr Freiheit und Verantwortung für das deutsche Wissenschaftssystem" (Drs. 16/7858)
Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: "Wissenschaftssystem öffnen - Mehr Qualität durch mehr verantwortliche Selbststeuerung und Kooperation" (Drs. 16/8221)
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE: "Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken" (Drs. 16/3192, 16/8369) vom 6. März 2008


An dieser Stelle können Sie sich die Rede auf Bundestags-TV anschauen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion.

René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute unter anderem über den FDP-Antrag, ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz einzuführen. Frau Ministerin Schavan hat deutlich gemacht, dass die Forderung nach einem solchen Gesetz und die Vorbereitung dazu auf die Initiative der Bundesregierung nach der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg im Sommer des letzten Jahres zurückgeht.

Erlauben Sie mir zu Beginn die grundsätzliche Bemerkung, dass Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in Deutschland ein sehr hohes Gut sind und durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt sind. Wir haben über Forschungsfreiheit und ihre Grenzen sehr häufig diskutiert. Zuletzt ging es am Montag in einer fünfstündigen Anhörung um die Frage, inwieweit man in Deutschland mit embryonalen Stammzelllinien forschen darf. Forschungsfreiheitsbeschränkungen gibt es aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Diskussion um Tierversuche. Heute geht es also gar nicht um Forschungsfreiheit im eigentlichen Sinne, sondern um eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wissenschaft.

Man kann die Forschungsfreiheit positiv - durch Förderung - und negativ - durch Nichtförderung - beeinflussen. Erlauben Sie mir, dass ich kurz auf die ständig wiederkehrende Kritik am Atomausstieg in FDP-Anträgen eingehe; vielleicht können Sie das bei den nächsten Anträgen endlich einmal aussparen.

(Jörg Tauss [SPD]: Nein, nein, das ist ein Running Gag!)

Ich bin ausdrücklich der Auffassung, dass die Politik im Sinne der Verantwortung für die ganze Gesellschaft und für künftige Generationen

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

die Möglichkeit haben muss, über die Forschungsförderung steuernd in die Forschung einzugreifen. Sie sollten es akzeptieren, dass eine durch Wahlen legitimierte Bundestagsmehrheit von SPD und Grünen vor einigen Jahren den Ausstieg aus der Kernenergie und den Einstieg in die alternativen Energien beschlossen hat. Sie irren, wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP, in Ihrem Antrag behaupten, der Einstieg in die alternativen Energien stelle ein Problem in Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dar. Solar- und Windenergie sind mittlerweile Spitzentechnologien; wir sind in dem Bereich Weltmeister.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen wieder in die Kernenergie - ein Auslaufmodell - einsteigen. Die Uranvorräte sind aber begrenzt. Die radioaktiven Abfälle sind nicht beherrschbar. Uran 238 hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Davon produzieren wir jeden Tag ungeahnte Mengen. Wenn Sie wieder in die Kernenergie einsteigen wollen, dann suchen Sie sich endlich eine parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheit dafür; Sie werden sie nicht finden. Akzeptieren Sie das! Schreiben Sie aber doch nicht in jeden Antrag, dass Sie den Ausstieg kritisieren!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen heute nicht über das Grundrecht der Forschungsfreiheit und der Wissenschaftsfreiheit reden, sondern über die Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Im Groben gibt es zweierlei Rahmenbedingungen: finanzielle und strukturelle. Über die finanziellen Rahmenbedingungen brauchen wir nicht lange zu reden; die Vorgängerregierung und die jetzige Regierung haben eine Menge getan und erhebliche Mittel in die Forschungsförderung gesteckt. Heute wollen wir über die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen reden. Es ist gut, wenn wir die Wissenschaftsorganisation stärken. Ich finde den Titel des Antrags der Grünen übrigens deutlich gelungener und abwägender als den Titel des FDP-Antrags.

Wir haben nichts dagegen - das hat auch die Ministerin gesagt -, im Bereich der Forschungsförderung Vorschriften zu entrümpeln, auf bürokratische Eingriffe zu verzichten und mehr Flexibilität in den Bereichen Haushaltsführung, Vergabe- und Baurecht für die Forschungseinrichtungen zu schaffen. Der Teufel steckt aber im Detail: Was heißt das konkret?
Ich möchte nur ein Beispiel herausgreifen - Sie erwähnen es in Ihrem Antrag -: die Forderung nach attraktiveren Vergütungskonditionen für exzellente Wissenschaftler. Auch in diesem Bereich hat die Vorgängerregierung schon eine Menge erreicht, etwa die leistungsorientierte W-Besoldung. Wir sind dort sicherlich noch nicht am Ende der Möglichkeiten. Wir hören alle naselang von Forschungsorganisationen: Wir können wieder einen Forscher nicht halten, weil ihm in anderen Ländern ein höheres Gehalt geboten wird. Das ist sicherlich so. Man muss sich überlegen, was die Forderung nach besserer Vergütung bedeutet - unabhängig davon, dass in vielen Bereichen eine flexible Handhabung schon möglich ist -: Legen wir bei den exzellenten Forschern eine Schippe drauf, führt das möglicherweise zu Disparitäten im Tarifvertragssystem. Bieten wir nur Wissenschaftlern, die ins Ausland gehen wollen oder die wir aus dem Ausland holen wollen, eine höhere Vergütung?

Führt das möglicherweise zu einem Wettbewerb zwischen den Forschungseinrichtungen, der nicht wünschenswert sein kann, weil die finanziell bessergestellte Forschungseinrichtung aus der A-Stadt dann den Spitzenwissenschaftler aus B-Dorf abwerben würde? Für das System ist damit überhaupt nichts gewonnen; es geht nur Geld verloren. Möglicherweise würde man für einen Spitzenforscher so viel Geld verbrauchen, dass man damit drei Nachwuchskräfte über längere Zeit fördern könnte. Erfordert die demografische Entwicklung nicht eher - dazu haben wir vor kurzem etwas bei der Anhörung zu den Zukunftsperspektiven von Frauen im Wissenschaftssystem gehört -, dass wir allen jungen ausgebildeten Wissenschaftlern den Zugang zum Forschungssystem ermöglichen und wir sie nicht herausdrängen? Wenn es eine freie Wissenschaftlerstelle gibt, können wir es uns noch leisten, dass wir den Wettbewerb so ausgestalten, dass nur der bessere von den zwei Bewerbern genommen wird und der etwas schlechtere als Taxifahrer durch Berlin fahren muss und der Wissenschaft verlorengeht?

Wir können es uns auch nicht mehr leisten - auch das erfahre ich häufig -, dass bei einem jungen Wissenschaftlerehepaar nur der Mann als Forscher angestellt wird - so ist es üblich - und die hochqualifizierte Frau für die Kinderbetreuung nach Hause geschickt wird. Da gibt es viele Beispiele, die man täglich erleben kann. Besser ist es sicherlich, wenn beide am Institut arbeiten können und die Kinder im Institutskindergarten betreut werden; das ist sicherlich unstrittig. Das ist eine strukturelle Rahmenbedingung, die in einigen Forschungseinrichtungen mittlerweile auch umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Flexibilität bei der Bezahlung auch zu einer Verbreiterung und Verbesserung der Basis des wissenschaftlichen Personals führt, dann bin ich dabei. Übrigens ist das, was ich gerade erläutert habe, nicht frei erfunden, sondern beruht auf Erfahrungen. Im Dezember waren wir mit dem Forschungsausschuss - die Kollegen Gehring und Schneider waren dabei - am weltweit höchst renommierten Weizmann-Institut in Israel. Dort gibt es hervorragende junge und ältere Wissenschaftler. Ich habe Herrn Professor Zajfman, den Direktor des Instituts, gefragt, wo er diese guten Leute herbekommt, ob er sie etwa mit viel Geld aus dem Ausland holt. Als ich ihn gefragt habe, wie diese Leute bezahlt werden, hat er geantwortet, die Bezahlung sei mit der in den USA nicht vergleichbar und „very far away from German scale“, also weit unter den deutschen Maßstäben. Sie verdienen lange nicht so viel wie deutsche Wissenschaftler. Das zeigt, dass es nicht allein um Geld, sondern auch um andere Rahmenbedingungen geht. Wir haben sehr gut lernen können, wie wichtig es ist, vor Ort ein vernünftiges Angebot für die Ehepartner und Familien der Wissenschaftler zu schaffen und vor allen Dingen jungen Wissenschaftlern eine Perspektive aufzuzeigen, die darüber hinausgeht, für zwei oder fünf Jahre am Institut zu arbeiten, ohne zu wissen, wie es danach weitergeht.

(Beifall bei der SPD)

Am Weizmann-Institut kann jeder, der gut ist, entweder wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Professor auf Lebenszeit werden und erhält damit eine Perspektive, die man in Deutschland häufig nicht findet.

Zwei Stichworte will ich noch aufgreifen. Sie, die FDP, fordern in Ihrem Antrag, die Altersgrenze für herausragende Wissenschaftler aufzuheben. Wir als SPD halten die Überlegungen zu einer Seniorprofessur seit Längerem für richtig. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass Nachwuchskräfte verdrängt werden, sondern es muss dafür eigene Stellen geben, möglichst auch eigenständig finanziert.

Außerdem schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass Sie ausländerrechtliche Hürden beseitigen wollen. Unser Vorschlag dazu lautet: Starten Sie über Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Holen Sie sich Herrn Koch dazu, solange er noch Ministerpräsident in Hessen ist. Dann kann er zeigen, dass er auch für eine andere Ausländerpolitik steht. Wir sind bei diesem Thema sicherlich diskussionsbereit.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Röspel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sitte?

René Röspel (SPD):
Gerne.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Herr Kollege, die SPD hat in der letzten Legislaturperiode das Juniorprofessurenprogramm aufgelegt. Wir haben heute auch unseren Antrag mit dem Titel „Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken“ zu diskutieren. Sie haben vorhin selber erwähnt, wie wichtig es ist, die Förderung von Spitzenkräften und die Förderung von Nachwuchskräften in das richtige Verhältnis zu setzen. Ich möchte einfach die Gelegenheit nutzen, Ihre Position zur Fortsetzung des Programms zu Juniorprofessuren zu erfragen.

René Röspel (SPD):
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie eine Initiative der SPD - nämlich die zur Juniorprofessur - loben und für sinnvoll halten. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, weil es eine gute Maßnahme ist.

(Beifall bei der SPD)

Das sollte in der Kürze der Zeit genügen.
Ich würde gerne den Bogen zur Wissenschaftsfreiheit schließen. An zwei Punkten habe ich große Sorge, was die Zukunft der Wissenschaftsfreiheit in unserem Lande anbelangt. Erstens ist mein Eindruck, dass es früher im Interesse von Wissenschaftlern lag, ihre Ergebnisse möglichst schnell auf Konferenzen oder in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Ich habe den Eindruck, dass sich das Interesse jetzt dahin verschiebt, Patente zu erarbeiten und anzumelden. Das allerdings setzt voraus, dass man möglichst lange geheim, nicht mehr transparent und kooperativ arbeitet. Deswegen appelliere ich an das Ministerium: Wir brauchen eine Neuheitsschonfrist, die es ermöglicht, seine Ergebnisse zu veröffentlichen und der Wissenschaft zur Diskussion zur Verfügung zu stellen, ohne sich der Möglichkeit zu berauben, ein Patent anzumelden.
Wir haben heute darüber geredet und wir werden sicherlich noch länger darüber reden, dass Wissenschaftler frei arbeiten können müssen. Der zweite Punkt, um den es mir geht, ist aber die Freiheit junger Menschen - es sitzen heute viele unter den Zuschauern -, Wissenschaftler werden zu können.

(Beifall bei der SPD)

Ich mache mir zunehmend Sorgen darüber, dass jungen Menschen in gewissen Bundesländern - der entsprechende NRW-Minister sitzt ja hier - durch die von der FDP mitverantworteten Studiengebühren zunehmend die Möglichkeit genommen wird, ein Studium aufzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Das hat nicht intellektuelle, sondern rein finanzielle Gründe; das ist eine Tatsache. Das betrifft die Fachkräfte und geht bis in die Mittelschicht. In der letzten Bürgersprechstunde habe ich erlebt, dass eine Lehrerin gesagt hat: Mein zweiter Sohn will jetzt beginnen, zu studieren. Das macht 2 000 Euro im Jahr. Ich komme langsam an meine finanziellen Grenzen. - Diese Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und der Möglichkeit, Wissenschaftler zu gewinnen, werden wir Sozialdemokraten nicht hinnehmen. Das halten wir für grundlegend falsch.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bei allen anderen Punkten, die zur Diskussion stehen, sind wir gerne gesprächsbereit.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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