Wir müssen die Energiepolitik neu erfinden
Kaum sei ein Konsens über die „ergebnisoffene Suche“ nach einem Endlager für Atommüll gefunden, werde er schon wieder in Frage gestellt, sagte Thüringens Wirtschafts- und Arbeitsminister Matthias Machnig in der Hagener VHS-Zentrale „Villa Post“: „Ausgerechnet Bayern und Hessen, die Jahrzehnte lang am meisten von der Atomenergie profitiert haben, weigern sich jetzt, Zwischenlager für die Castoren einzurichten.“ Machnig sprach im Rahmen der Reihe „Energie – Klima – Umwelt“, zu der der heimische SPD-Bundestagsabgeordnete René Röspel zahlreiche namhafte Wissenschaftler und Politiker einlädt. Überhaupt sei es um die Energiepolitik hierzulande schlecht bestellt: Im Bund sind sechs Ministerien dafür zuständig, sagte Machnig: „Das kann doch nur im Chaos enden.“
Deutschland sei einmal Vorreiter der Energiewende gewesen. Durch die „doppelte Wende“ habe man allerdings zehn Jahre verschenkt. Wie man trotzdem „die Chancen der Energiewende nutzen“ – so das Thema seines Vortrages – kann, machte der Minister an vielen Beispielen deutlich. Ziel müssten Versorgungssicherheit, Kosteneffizienz und Umweltfreundlichkeit sein. Spätestens 2050 sollten nur noch die Industrie und die Landwirtschaft überhaupt Klimagase ausstoßen dürfen, weil es dazu bisher keine Lösungen gebe. Von allen anderen Bereichen forderte Machnig „Null-Emission“. Das setze enorme Forschungs- und Entwicklungs-Anstrengungen voraus, erfordere aber auch gezielte staatliche Unterstützung.
Versorgungssicherheit lasse sich nur durch neue Speichertechnologien schaffen. Zurzeit könnten alle Pumpspeicherwerke der Bundesrepublik, zu denen auch das Koeppchenwerk am Hengsteysee gehört, zusammen gerade einmal den Strombedarf für 39 Minuten decken. Weitere Speicherwerke seien ebenso nötig wie der massive Ausbau der Elektro-Mobilität, damit man die E-Autos als dezentrale Speicher nutzen kann, wenn sie auf dem Parkplatz stehen. „Dazu müssten die Elektro-Autos aber ähnlich teuer wie Benzin-Autos sein und eine ähnliche Reichweite haben“, schränkte Matthias Machnig ein. Um die Entwicklung zu beflügeln, setzt der Minister weniger auf direkte Forschungs-Subventionen als vielmehr auf die Festsetzung eines immer geringeren „Flotten-Verbrauchs“: Alle Fahrzeuge eines Herstellers zusammen dürfen nur einen maximalen Durchschnitts-Benzin-Verbrauch erreichen. „Das beflügelt die Forschung und die Preisgestaltung“, ist sich Machnig sicher.
Bei der Energieeffizienz sieht er den größten „Bremsklotz“ bei den alten Gebäuden: „60 Prozent aller Häuser wurden vor 1979 gebaut, als erstmals Wärmedämmung vorgeschrieben wurde.“ Jährlich würden nur ein Prozent aller Gebäude saniert, „es dauert also 100 Jahre, bis alle isoliert sind.“ Um das zu beschleunigen, fordert der Minister ein „massives Sanierungs-Programm“. In der Industrie sieht er ein Einsparpotential von 30 Prozent, wenn alle alten Geräte durch effizientere ersetzt werden. Dazu sei ein Energie-Management nötig.
Schließlich macht sich Machnig für eine „Rekommunalisierung“ der Energieversorger stark: „Es war nie gut, dass nur vier Unternehmen 96 Prozent des Marktes beherrschen!“ Dass die wenig innovativ seien, liege auch am misslungenen Emissionshandel. Die Zertifikate seien zu billig. Deren Zahl müsse deutlich verringert werden, um sie teurer zu machen und damit Anreize für die CO2-Reduktion zu schaffen. Das fordere auch die EU-Kommission. Die Bundesregierung habe es aber nicht einmal fertig gebracht, dazu eine einheitliche Meinung zu finden, sagte Machnig: „Altmaier sagt Hü, Rösler sagt Hot, und Merkel schweigt dazu.“
„Wir müssen die Energiepolitik neu erfinden“, forderte der Thüringer Wirtschaftsminister. Für ihn steht außer Frage: „Wir können ein Industrieland ohne Kernkraft und CO2 werden und trotzdem wettbewerbsfähig bleiben.“
Beim nächsten Vortrag am Mittwoch, dem 29. Mai, um 19 Uhr ebenfalls in der Villa Post spricht der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Prof. Matthias Kleiner (TU Dortmund) über „Forschung für die Energiewende“. Mehr Informationen hier.