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Einmalige Stichtagsverschiebung - Rede zur Änderung des Stammzellgesetzes

Rede im Deutschen Bundestag zur Änderung des Stammzellgesetzes vom 11. April 2008

11.04.2008


An dieser Stelle können Sie sich die Rede auf Bundestags-TV anschauen.

René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben fast zwei Stunden einer wie ich glaube guten Debatte hinter uns. Dennoch erlauben Sie mir, dass ich auf einen Vorwurf eingehe, der mich wirklich geärgert hat und den wir in den letzten Wochen immer wieder fälschlicherweise in der Debatte gehört haben. Die Behauptung, über eine Stichtagsverschiebung solle das aktive Töten von Embryonen legitimiert werden, ist schlicht und einfach falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Es geht nicht um das Zerstören von Embryonen, sondern es geht darum, wie man mit dem umgeht, was bereits existiert, nämlich mit Stammzelllinien, die im Ausland ohne unser Zutun hergestellt worden sind und deren Herstellung wir leider nicht haben verhindern können. Mit einer Verschiebung des Stichtags wird kein einziger Embryo zerstört, es wird allerdings auch kein einziger gerettet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Es gab in dem Grundsatzbeschluss von 2002, der in diesem Land lange Jahre Rechtsfrieden gebracht hat, drei wesentlichen Kriterien:

Erstens. Für deutsche Forschung soll kein Embryo zerstört werden.
Zweitens. Es soll auch kein Anreiz ans Ausland gehen, dass so etwas geschieht.
Drittens. Mit den schon vorhandenen Stammzelllinien soll in Deutschland unter bestimmten Bedingungen Forschung möglich sein.

Wenn man diese drei Kriterien als Voraussetzungen für eine befriedete Diskussion in Deutschland akzeptiert, dann ist es der Mühe wert, die drei vorliegenden Anträge auch wirklich einmal an diesen Kriterien, die sich bewährt haben, zu messen. Ob wir heute die Debatte abschließen und in den nächsten Jahren weiterhin Rechtsfrieden haben werden, das liegt, liebe Kolleginnen und Kollegen, gleich in Ihrer Hand.

Mit der Abschaffung des Stichtages - dies fordert der Antrag der Kolleginnen und Kollegen Flach, Stöckel und anderer - würden die Forscher in diesem Land tatsächlich viel mehr Möglichkeiten bekommen. Aber es wird gleichzeitig das andere wichtige Anliegen, dass dem Ausland kein Anreiz gegeben wird, embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken herzustellen, preisgegeben. Damit würde eine wichtige Position aufgegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das würde dazu führen, dass eine der Seiten diesen Weg nicht mitgehen könnte. Damit wäre ein Ende des Rechtsfriedens absehbar.

Die Beibehaltung des Stichtages, wie von den Kolleginnen Hinz, Klöckner und anderen gefordert, würde über kurz oder lang dazu führen, dass keine Zelllinien mehr zur Verfügung stehen. Gegen die Hoffnung, dass die 21 in Deutschland derzeit zugelassenen Stammzelllinien noch viele Jahre halten werden, spricht nämlich die zellbiologische Erfahrung. Die Forscher haben uns ja mitgeteilt, dass diese Hoffnung trügt. Es werden also immer weniger Zelllinien werden. Die Beibehaltung des Stichtages würde faktisch aufgrund der abnehmenden Zahl der Stammzelllinien letztlich zu dem gleichen Ergebnis führen wie der Antrag von Herrn Hüppe und anderen Kollegen, nämlich zu einem Forschungsverbot.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

So würde es entweder faktisch oder juristisch nicht mehr möglich sein, in Deutschland diese Forschung zu betreiben. Das wäre wiederum für die Forschungsseite nicht tragbar. Sie würde den Kompromiss, den wir seinerzeit gefunden haben, aufkündigen und den Mittelweg verlassen.

Die geschätzte Kollegin Margot von Renesse begründete 2002 in der Debatte ihr Votum für einen Mittelweg, der sich an den genannten drei Kriterien orientiert, damit, dass ein „ein-Gesetz“, ich würde lieber von einem faktischen Verbot dieser Forschung sprechen, an der Klippe der Verfassung scheitern würde.

Für mich persönlich beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Die Frage aber, ab wann menschliches Leben Träger von Menschenwürde ist, ist gesellschaftlich noch nicht entschieden. Das ist ja auch eine schwere Entscheidung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ich frage Sie nun allen Ernstes: Sollen wir es darauf ankommen lassen, dass ein Forscher vor Gericht zieht, um die Erlaubnis zum Import einer vier Jahre alten Stammzelllinie einzuklagen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD; Widerspruch des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])

Sind Sie sich wirklich so sicher, dass jedes Gericht in Deutschland einer solchen Stammzelllinie, die vor vier Jahren aus einem Embryo hergestellt wurde, bedauerlicherweise, aber nicht zu ändern, die im Labor bearbeitet wurde, die 20-mal von einer Zellkulturflasche in die andere umgefüllt wurde, die zehnmal eingefroren und zehnmal aufgetaut worden ist, die viele Eigenschaften verloren hat und nichts mehr mit einem Embryo zu tun hat, Menschenwürde und Lebensschutz zubilligen würde? Ich bin mir nicht so sicher, dass das so sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen frage ich Sie alle: Wollen wir diese Entscheidung in letzter Instanz einem Gericht überlassen, oder liegt es nicht vielmehr in unserer parlamentarischen und politischen Verantwortung, eine stabile Übereinkunft in einem ethischen Dilemma zu treffen, die einerseits tatsächlich Forschung ermöglicht, und zwar in einem viel größeren Umfang als seit 2002, und andererseits den Lebensschutz von Embryonen gewährleistet?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich glaube, wir sollten jetzt die entsprechende politische Entscheidung in einem ethisch nicht lösbaren Dilemma treffen.

Deshalb appelliere ich an Sie, den Antrag von Röspel, Aigner und anderen auf eine einmalige Verschiebung des Stichtages zu unterstützen. Damit würden wir für viele Jahre in Deutschland wieder Rechtsfrieden herstellen, vielleicht sogar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir auf embryonale Stammzellforschung verzichten können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

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