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Inklusion im Sport: Zunächst die Barrieren in den Köpfen beseitigen

07.12.2012
Im Zehner-Treff diskutierten (von links) Friedhelm Julius Beucher, Karin Thoma-Zimmermann, Dagmar Freitag, Astrid Hengsbach und René Röspel über Inklusion im Sport.
Im Zehner-Treff diskutierten (von links) Friedhelm Julius Beucher, Karin Thoma-Zimmermann, Dagmar Freitag, Astrid Hengsbach und René Röspel über Inklusion im Sport.

Eine Weltrangliste-Dritte im Tennis, die keine Teilzeitbeschäftigung an einer Schule in Nordrhein-Westfalen findet; Spitzen-Ruderer, die womöglich im kommenden Jahr auf Hartz IV angewiesen sind – das ist die andere Seite der vielen Medaillen, über die sich Millionen Zuschauer bei den Paralympics in London gefreut haben. Darauf wiesen Silbermedaillen-Gewinnerin Astrid Hengsbach und Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, im „Zehner-Treff“ in Hohenlimburg hin. „Inklusion im Sport“ hieß die Dialogveranstaltung, zu der die beiden heimischen SPD-Bundestagsabgeordneten Dagmar Freitag (Iserlohn) und René Röspel (Hagen/EN) eingeladen hatten.

Dass Sport mit die beste Möglichkeit ist, Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen und damit die UN-Behindertenrechtskonvention mit Leben zu erfüllen, stand für die Referenten wie für die Besucher außer Frage. Das gelte aber nicht nur für den Spitzensport, betonte Dagmar Freitag: „Alle Menschen sollen nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert und gefordert werden.“ Die Sportvereine forderte sie auf, sich für Menschen mit Behinderungen zu öffnen und auch über gemeinsame Wettkämpfe nachzudenken. Wie das funktionieren kann, erläuterte Karin Thoma-Zimmermann, die ein „inklusives Sportprojekt“ an der Hauptschule in Hagen-Vorhalle leitet. Seit 2007 kommen schwerst-mehrfach Behinderte einmal in der Woche in die Schulturnhalle, um mit den Schülerinnen und Schülern Sport zu treiben. „Ich hatte keine Ahnung vom Behindertensport und musste mich langsam herantasten“, schildert Thoma-Zimmermann. Auch die Schüler hätten „einige Stunden“ gebraucht, um sich mit den neuen Sportkollegen verständigen zu können. Jetzt haben sie eine ganz andere Einstellung, weiß die Lehrerin: „Behinderung hat jetzt ein Gesicht.“
Die Schüler waren es auch, die sich eine Zusammenarbeit mit behinderten Kindern wünschten. Deshalb gibt es seit diesem Schuljahr das Projekt „unschlagbar“ zusammen mit der Oberlin-Schule in Volmarstein. Dass dieses Kooperation zurzeit ein wenig stockt, liegt an unglaublichen bürokratischen Hürden: Niemand ist in der Lage, die Kosten für den vier Kilometer langen Transport einmal in der Woche zu übernehmen.
Astrid Hengsbach war Leistungssportlerin im Rudern und Trainerin. Das hatte 2010 ein jähes Ende durch einen schweren Unfall. Während zahlreicher Krankenhaus-Aufenthalte und Operationen – die letzte erst in diesem Frühjahr – erfuhr sie von anderen Betroffenen, welche Möglichkeiten und technischen Hilfen es gibt, um den geliebten Sport trotz Behinderung ausüben zu können. Also nahm sie Kontakt zum Herdecker Ruderclub auf, für den das genau wie für sie selbst ein völlig neuer Bereich war. „Menschen mit Handycap wollen Normalität in einer normalen Umgebung“, sagte Astrid Hengsbach. Belohnt wurde das harte Training mit der Silbermedaille im gemischten Vierer-Boot.
Allerdings musste sie die 21 Stunden Training pro Woche vor den Paralympics neben ihrem 40-Stunden-Beruf absolvieren. Ob der Trainer des „Silber-Bootes“ im kommenden Jahr noch bezahlt werden kann, sei sehr zu bezweifeln.
Den Beruf für den Sport hintan zu stellen, sei ein Wagnis und für einen nicht-behinderten Spitzen-Athleten völlig undenkbar, machte Friedhelm Julius Beucher deutlich: „Wer heute im paralympischen Sport an der Spitze sein will, braucht professionelle Unterstützung.“ Bei der Förderung durch das Bundes-Innenministerium sei man „noch lange nicht“ bei den Nicht-Behinderten angekommen. Inklusion sei aber nur möglich, wenn die personellen und sachlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Das sei ein Prozess, der auf längere Zeit angelegt ist. „Zunächst sind die Barrieren zu beseitigen“, forderte Beucher, „und zu allererst die in den Köpfen.“
René Röspel machte deutlich, dass Inklusion keineswegs eine „freiwillige“ Aufgabe ist: „Die Behindertenrechtskonvention ist bei uns seit dreieinhalb Jahren geltendes Recht.
Dass es viele Barrieren, aber auch viele Lösungen für die Inklusion im Sport gibt, wurde in der Diskussion mit den Besuchern deutlich. Andrea Schilken, Vorsitzende des Turnbezirks Hagen-Schwelm: „So unterschiedlich Behinderungen sind, so unterschiedlich müssen auch die Lösungen sein.“

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