Entwicklung zum Nutzen des Menschen gestalten
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege René Röspel das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich mache Sie gleich zu Beginn darauf aufmerksam, dass ich keine Aussicht sehe, das Material, das Sie mit bringen, auch nur annähernd vollständig vorzutragen, Herr Kollege.
(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)
René Röspel (SPD):
Herr Lammert, ich habe befürchtet, dass Sie mir die Eingangspointe nehmen. – Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nein, ich werde das nicht alles vorlesen. Der Vorlesetag war vor zwei Wochen. Da war ich – ich hätte jetzt fast gesagt: in einem anderen Kindergarten –
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
in einem Kindergarten. Das hat wirklich Spaß gemacht.
Das Material, das ich vor mir liegen habe, ist Gegenstand dieser anderthalbstündigen Beratung. Das ist wirklich viel Papier. Weil es hier ein bisschen „nach verbranntem Hintern riecht", Kollegin Sitte,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
um bei Luther zu bleiben, sage ich: Vielleicht hilft es, das eine oder andere wirklich einmal zu lesen.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!)
Das kann ich auch den Zuhörerinnen und Zuhörern nur empfehlen. Man muss die 700 Seiten des Bundesberichts Forschung und Innovation 2014 nicht ausdrucken – da mit rettet man das Leben eines Baumes -,
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es digital!)
aber man kann sich den Bericht herunterladen. In diesem Bericht stellen die Bundesregierung, aber auch die Regierungen der Bundesländer dar, was an Forschung und Entwicklung in Deutschland alles betrieben wird. Wenn man in diesen Bericht schaut, erfährt man viel darüber und man erkennt vor allen Dingen, dass Deutschland ein wirklich hervorragender Standort für Wissenschaft und Forschung ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Damit habe ich 700 Seiten schnell abgearbeitet; das muss ich sagen.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nicht drin!)
– Bitte? – Doch, das ist eine Conclusio, die man ziehen kann.
Damit sich die Regierungen nicht allzu häufig loben – das wäre nicht gut –, gibt es einen ganz vernünftigen Mechanismus in Deutschland. Uns wird nämlich auch immer der Bericht der Expertenkommission Forschung und Innovation, EFI genannt, vorgelegt. Dieser Bericht hält der Bundesregierung, aber auch der deutschen Politik insgesamt immer so ein bisschen den Spiegel vor: Wie sieht es eigentlich aus? Wie steht es um die technologische Leistungsfähigkeit in Deutschland? Viel von der Kritik, die in den letzten Jahren darin geäußert worden ist, war berechtigt. Diese Kritik hat, glaube ich, die Politik weitergebracht. Wir haben die Kritik in den Diskussionen aufgenommen und sie in Teilen umgesetzt.
An einer Stelle möchte ich vertieft auf den Bericht von 2014 eingehen – Frau Wanka sprach das auch schon an –: Im EFI-Bericht 2014 steht, dass wir in Deutschland im Saldo einen Verlust an Wissenschaftlern hätten. Das heißt, wenn man Zugänge und Abgänge von Wissenschaftlern betrachtet, verliert Deutschland laut der Botschaft der EFI gute Wissenschaftler ans Ausland. Das ist eine falsche Botschaft.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es!)
Diese Aussage wird vielleicht verständlich, wenn man sich vor Augen führt, welchen Zeitraum die Gutachter betrachtet haben. Sie haben den Zeitraum zwischen 1996 und 2011 betrachtet, also einen Zeitraum von 15 Jahren. Bezogen auf diesen gesamten Zeitraum mag die Aussage der EFI stimmen, bezogen auf die letzten Jahre stimmt sie sicherlich nicht. Es ist gut, wenn man ein gutes Archiv hat. Ich habe noch den Bundesforschungsbericht 2000 zu Hause.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du musst mal dein Arbeitszimmer aufräumen!)
Darin stehen ein paar Zahlen mehr. An diesen Zahlen sieht man, dass Deutschland zwischen 1993 und 1998 ein stagnierendes System war.
Herr Riesenhuber, Sie haben, wenn ich mich richtig erinnere, 1993 das Amt des Forschungsministers abgegeben. Leider ist danach wenig passiert.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass der Etat für Bildung und Forschung immer um 10 Milliarden D-Mark herum schwankte. Erst 1998 – das geben die Zahlen eindeutig her – hat sich die Situation verändert. Mit einer neuen Regierung hat es nicht nur mehr Investitionen in Bildung und Forschung gegeben, sondern es gab auch eine andere Einschätzung und eine andere Wertschätzung von Bildung und Forschung.
Ich glaube, es war 2003, dass ich auf einer der ersten GAIN-Tagungen in Boston war. Diese Veranstaltung wurde damals eingerichtet, um junge deutsche Wissenschaftler wieder für unser Land zu interessieren und zu sagen: Kommt doch zurück, wir haben etwas zu bieten. Ich habe damals das erste Mal gemerkt, dass die jungen Wissenschaftler, die in den 90er-Jahren in die USA gegangen waren, um bessere Bedingungen zu haben, wahrnahmen: „Da passiert etwas in Deutschland, da bewegt sich etwas", und sich gesagt haben: Wir würden gerne zurückkommen und tun das vielleicht auch.
2005 hat es, übrigens noch unter einer sozialdemokratischen Bildungs- und Forschungsministerin, tatsächlich zwei ganz wichtige Initiativen gegeben, nämlich die Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Innovation, die noch einmal eine richtige Dynamik in Deutschland ausgelöst haben: Deutschland ist wieder ein attraktiver Standort für Wissenschaftler. Die Menschen, die gut forschen wollen, wissen, dass Deutschland ein guter Standort ist, und sie kommen wieder nach Deutschland. Es ist gut, dass alle Regierungen seit 2005 den Weg, Deutschland zu einem attraktiven Wissenschaftsstandort zu machen, fortgesetzt haben. Das ist ein Lob, das wir uns an dieser Stelle fast alle einmal an die Brust heften dürfen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Um nach vorne zu schauen: Im Jahre 2006 ist in der ersten Großen Koalition die Hightech-Strategie auf den Weg gebracht worden. Es gab damals die richtige Überlegung, die Hightechforschung in den unterschiedlichen Bundesministerien zu bündeln, sie zu einer ressortüber greifenden Strategie zusammenzufassen und Hightech zu fördern.
Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben das zugegebenermaßen immer ein bisschen zu technikzentriert gesehen,
(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
weil ziemlich sicher ist, dass wir die Energiewende technisch bewältigen können. Die eigentlichen Probleme bei der Umsetzung der Energiewende sind aber eher im politischen und gesellschaftlichen Bereich sowie – jedenfalls kurzfristig – im finanziellen Bereich zu sehen. Langfristig lohnt sich die Energiewende, aber kurzfristig schauen die Unternehmen und die Verbraucher natürlich auf die Preise. Das sind keine technisch zu lösenden Probleme, sondern gesellschaftliche und politische.
Ein anderes Beispiel mag sein, dass für Gesundheit und moderne Medizin Technik natürlich unerhört wichtig ist. Mindestens gleichbedeutend sind aber eben die Antworten auf die Fragen, wie Pflege stattfindet, wie Menschen und insbesondere Kranke versorgt werden und welchen Umgang sie erleben. Das ist ein nichttechnischer Ansatz, den wir für richtig halten.
Deswegen, Frau Sitte, ist die Weiterentwicklung der Hightech-Strategie zu einer Hightech- und Innovationsstrategie, wie sie im Koalitionsvertrag steht, tatsächlich auf den Weg gebracht worden, und sie ist gelungen. Wenn Sie dort hineinschauen, dann sehen Sie: Wir sagen ausdrücklich, dass wir Deutschland beispielsweise zu einem internationalen Modell für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und zum Spitzenreiter im Bereich der grünen Technologien machen wollen. Ich finde, das ist ein hohes Ziel, aber das haben wir uns gesetzt, und das können Sie nachlesen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Das gilt genauso für viele andere Bereiche, die Sie angesprochen haben. Zum Beispiel steht auch die Open-Access-Strategie darin, durch die wissenschaftliche Veröffentlichungen freier und offener gemacht werden sollen.
Wir brauchen natürlich Zeit, um das umzusetzen, aber wir sind hier auf dem richtigen Weg. Am Ende dieser Regierungszeit werden Sie uns daran noch einmal messen; aber das Ganze dauert eben seine Zeit.
Innerhalb dieser Hightech- und Innovationsstrategie sind wir auch noch ein paar andere wichtige Punkte an gegangen, die neu und für uns wichtig sind, zum Beispiel die Innovationen in den Bereichen Dienstleistungen, Produktion und Arbeit. Warum ist das wichtig? Die Digitalisierung der Welt – das haben Sie und auch Frau Wanka gesagt – schreitet voran.
In der kleineren Nachbarstadt meines Wahlkreises, in Dortmund, wurde das Internet der Dinge erfunden. Wenn Sie dort in das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik gehen, dann sehen Sie ein Lager, das komplett automatisiert ist.
(Willi Brase [SPD]: Sehr richtig!)
Die Computer erhalten dort eine Meldung, und dann werden Waren über Roboter verschoben, die selbstständig fahren. Der Warenein- und -ausgang wird digital gesteuert, und der Mensch ist nicht mehr dabei.
Das ist eine ungeheure Herausforderung und Chance. Wir müssen hier aber weiter forschen und die Entwicklung so gestalten, dass sie auch zum Nutzen der Gesellschaft und des Menschen ist; denn als Produktionsstandort brauchen wir auch eine moderne Produktion. Die meisten Unternehmen haben das Ziel und sind bereits in der Lage, energieeffizient, ressourcenschonend und kosteneffizient zu produzieren. Da ist im System noch eine ganze Menge Potenzial; aber dazu braucht es gute und breitangelegte Forschung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Fabrik der Zukunft kann auch so aussehen, dass Menschen nicht mehr vorhanden sind oder nicht mehr benötigt werden. Ich glaube das zwar nicht, aber darauf müssen wir uns einstellen.
Am Rande: Wer jemals in einer Gesenkschmiede oder in einer Stahlbude war – oder sogar da hat arbeiten müssen –, weiß, welch ein Segen moderne Technologie oder Automatisierung sein kann.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wer da vielleicht länger gearbeitet hat, weiß, dass eine Rente nach 45 Versicherungsjahren kein Geschenk ist, sondern ein richtiges Verdienst.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Weil am Ende der Mensch für uns wichtig ist, will ich noch sagen: In meinem Wahlkreis, in Hagen, hat ein Konzern seine neue Zentrale eröffnet. Dort gehen die Arbeitnehmer morgens an ein Schließfach, holen ihren Alukoffer raus, suchen sich einen der leeren Schreibtische aus, bauen ihr Material auf, nehmen das Headset und arbeiten; abends wird alles wieder zusammengeräumt, und das Büro sieht völlig leer aus, die Schreibtische auch. Das ist das Büro der Zukunft – oder auch nicht. Das ist eine spannende Entwicklung. „Ist das gut oder schlecht?", dazu bedarf es eben auch der Arbeitsforschung. Wir wollen, dass Menschen lange gesund und zufrieden arbeiten können und sich auf neue Situationen im digitalen Zeitalter einstellen können. Deswegen fördern wir die Arbeitsforschung stärker als bisher. Es gab in den 70er und 80er-Jahren ein Programm „Humanisierung der Arbeit"; das ist ein zentrales Thema. Wir wollen mit diesen Maßnahmen dazu beitragen, dass der nächste BUFI nicht nur dicker wird, sondern wir insgesamt besser werden im wissenschaftlichen Bereich und eine vernünftigere Gesellschaft bekommen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)