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Industrie 4.0 – Forschung, Entwicklung und Bildung für die Digitalisierung der Industrieproduktion

13.06.2013

Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 13. Juni 2013 zum Koalitionsantrag „Industrie 4.0 – Forschung, Entwicklung und Bildung für die Digitalisierung der Industrieproduktion"; Deutscher Bundestag, 246. Sitzung, TOP 30

René Röspel (SPD):
Bei der Koalition bricht kurz vor den Wahlen Hektik aus. Da erhalten wir Mittwoch morgens einen Antrag der Koalition, über den Donnerstagabend abschließend abgestimmt werden soll, also ohne Ausschussbefassung, und das ganze geht dann auch noch ohne Debatte zu Protokoll. Man fragt sich wirklich, was da los ist.

Bei dem uns vorliegenden Antrag handelt sich um einen unausgegorenen Schnellschuss. Wobei ein Schuss in der Regel einen Einschlag und somit Spuren hinterlässt. Das hier ist aber eine Luftnummer, die spurlos versanden wird. So erleben wir in diesem Antrag eine Verkoppelung von nicht zusammenhängenden Punkten, Thesen und unbewiesenen Behauptungen.

Natürlich ist es richtig, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den letzten Jahren gestiegen sind, aber daraus abzuleiten, wie im Antrag zu lesen, dass die Hightech-Strategie der Bundesregierung „den Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft vorangebracht habe“, kann man wirklich nicht ernsthaft behaupten und auch nicht belegen. Es fehlt dabei schlicht jeder kausale Zusammenhang. Aber treu nach dem Motto „lieber fest und überzeugend behauptet als schwach bewiesen“ soll das wohl seine Wirkung in der Öffentlichkeit entfalten.

Zwar ist richtig, wie in dem Antrag in der Einleitung formuliert wird, dass die Industrieexporte und die Produktions- und Fertigungstechnologie das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden. An dieser Stelle wäre aber ein Dank an die rot-grüne Bundesregierung von vor zehn Jahren angebracht. Denn wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren es, die der Liberalisierungstendenz, die es zu Anfang dieses Jahrhunderts gab, widerstanden haben. Unter dem Stichwort „New Economy“ glaubten deren Verfechter, die Old Economy, also das produzierende Gewerbe, ersetzen zu müssen. Heute wissen wir, dass die Blase der New Economy schnell geplatzt ist und viele Kollateralschäden ausgelöst hat. Es war richtig, dass Rot-Grün diesen Kurs damals nicht mitgemacht und die Produktivität der deutschen Wirtschaft erhalten hat. Das hat uns stark gemacht. Und davon – vor allem – profitiert die heutige Regierung.

Insgesamt ist der Text des Antrags mitunter sehr geschwurbelt. Da werden beispielsweise Dinge als sensationell betrachtet, nämlich dass Werkstücke ein sogenanntes digitales Produktgedächtnis haben, die schon längst in der Anwendung sind. Ich habe mir vor einigen Monaten in einer Hagener Gesenkschmiede angeschaut, wie Produkte mit RFID-Chips versehen werden, die die wesentlichen Produktdaten und -eigenschaften in Sekundenbruchteilen nachvollziehbar machen.

Aber dieser Antrag enthält nicht nur wenig Neues, sondern ist auch zusammengewürfelt aus einer Reihe von Textbausteinen, die zu recherchieren ich mir nicht die Mühe gemacht habe. Aber auf Seite 3 sieht man am Ende des zweiten Absatzes allein durch die unterschiedliche Schriftbildformatierung, dass hier – wie es bei dieser Regierungskoalition häufig vorkommt– fleißig „copy and paste“ betrieben wurde. Allerdings ist der Antrag nicht einmal auf dem neuesten Stand. In den umfassenden „Begrüßungen des Bundestages“ unter römisch Zwei, wo Bestehendes der Bundesregierung durch die Koalitionsfraktionen gelobt wird – das mag wohl mittlerweile üblich sein –, wird noch davon gesprochen, dass die Handlungsempfehlungen der Plattform „Industrie 4.0“ auf der Hannover-Messe Industrie 2013 vorgestellt werden sollen. Nun ist die Hannover-Messe aber im April 2013 zu Ende gegangen, und das hätte in einem Antrag mit dem Datum 11. Juni 2013 spätestens mal gemerkt werden können. Wie auch im letzten Spiegelstrich unter römisch Zwei, wo davon gesprochen wird, dass der „Arbeitskreis Industrie 4.0 im April 2013 eine ausführliche Berichtsversion mit ersten Handlungsfeldern im Bereich des Datenschutzes vorlegen will“. Wenn der Antrag einigermaßen aktuell gewesen wäre, oder wenn ihn wenigstens noch mal jemand aus der Koalition gelesen hätte, hätte man schon längst merken können, dass das zwei Monate her ist und die Berichte mittlerweile vorliegen.

Richtig ist, wenn im Antrag steht, dass die nachhaltige Veränderung der Arbeitswelt frühzeitig durch Forschung flankiert werden muss und die Industrie 4.0 auf eine veränderte Form menschlicher Arbeit in der Industrie hinauslaufen wird. Bravo, Koalitionsfraktionen! Endlich gemerkt, aber sie hätten wahrnehmen können, dass die SPD das schon seit langer Zeit fordert. Wir müssen die veränderte Arbeitswelt stärker in der Forschung berücksichtigen und erforschen. Deswegen haben wir in den letzten Jahren immer wieder angemahnt, den Haushaltsansatz für Dienstleistungs- und Arbeitsforschung mit einer Erhöhung zu versehen. Das ist aber immer wieder von der Regierungskoalition abgelehnt worden. Und die Frage ist: Wenn sie das doch nun in einen Antrag schreibt, warum kürzt sie eigentlich dann die Mittel in diesem Bereich?

Richtig ist auch, dass es ein gemeinsames Ziel sein muss, die Arbeitsplatzperspektive einer in Zukunft immer mehr dienstleistungsorientierten Wirtschaft voranzutreiben. Aber passt das eigentlich zu der Forderung, die ja einen Spiegelstrich weiter steht, dass die Schwerpunkte der Forschung auf intelligente Produktionssysteme und Verfahren sowie auf die Realisierung verteilter und vernetzter Produktionsstätten zu legen
sind? Passt das zu der Forderung, dass die Zielrichtung sein muss, Arbeitsplatzperspektiven zu schaffen? Unter dem vorletzten Spiegelstrich wird noch geschrieben, dass die Kenntnisse für die Industrie 4.0. deutlich umfassender in akademischen Qualifikationsangeboten berücksichtigt werden müsse. Hört sich klug an, aber was heißt das denn eigentlich? Was meinen die lieben Koalitionäre damit? Es wäre doch mal interessant, das aufzuführen.

Sie können sicherlich auch zum Thema Datenschutz und Sicherheitsarchitektur viele Worte verlieren. Im letzten Satz steht: „Es ist insgesamt ein ausgewogener Ausgleich zwischen angemessener Sicherheit und Wirtschaftlichkeit zu schaffen.“ Da muss man auch hierbei sagen, hört sich gut an, aber was meinen die Koalitionäre eigentlich damit? Was ist denn angemessene Sicherheit und vor allen Dingen, wer schafft die angemessene Wirtschaftlichkeit? Soll der Staat hier eingreifen?

In diesem Antrag stecken, wie man sieht, mehr Fragen als Antworten. In einer Ausschusssitzung hätte man diese vielleicht noch einmal diskutieren können, da dies aber abgelehnt wurde, kann ich nur von dem hier Geschriebenen ausgehen. Und das sind Allgemeinheiten bzw. veraltetes Wissen. Wirklich neue politische Forderungen fehlen. Ich habe vielmehr die starke Vermutung, dass den Teilnehmern der Fraktionskonferenz im Frühling dieses Jahres versprochen wurde, das Thema noch einmal zu platzieren. Deshalb wohl der inhaltslose Aktionismus. Das Thema hätte mehr verdient. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag ab.

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: