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Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes

07.06.2013

Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 07. Juni 2013 zur zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur "Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes"; Deutscher Bundestag, 244. Sitzung, TOP 25

René Röspel (SPD):
Da mein Fraktionskollege Siegmund Ehrmann sich in seiner Rede mit den geplanten Gesetzesänderungen zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke befasst hat, möchte ich mich in meiner Rede auf die Teile des vorliegenden Gesetzentwurfs beschränken, die die Einführung eines unabdingbaren Zweitverwertungsrechts für Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen vorsehen.

Mit der im Gesetzentwurf geplanten Änderung des § 38 des Urheberrechtsgesetzes soll erstmalig in Deutschland ein Zweitverwertungsrecht für die Wissenschaft im Urheberrecht verankert werden. Sinn und Zweck eines solchen Zweitverwertungsrechtes ist es, den Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen ein Stück mehr Unabhängigkeit vom derzeit herrschenden Oligopol der Wissenschaftsverlage zu verschaffen. Dies ist nicht nur im Interesse der publizierenden Forscherinnen und Forscher in Deutschland, sondern auch im Sinne des Steuerzahlers; denn die bisherige restriktive Regelung des Urheberrechtsgesetzes führte letztlich dazu, dass das Oligopol der Wissenschaftsverlage seine Marktmacht ungehemmt ausnutzen kann mit dem Ergebnis, dass viele Hochschulen und Bibliotheken mit Steuergeld das Wissen zurückkaufen, das ebenfalls mit öffentlichen Geldern geschaffen wurde.

Es ist daher erfreulich, dass die Bundesregierung diese wichtige – und vonseiten der Wissenschaft und uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon lange geforderte – Änderung des Urheberrechts nun in Angriff nehmen will. Leider muss ich mit großem Bedauern feststellen, dass diese gute Idee offenbar in den langwierigen Verhandlungen zwischen Justiz- und Forschungsministerium derart zerrieben worden ist, dass von der Grundidee nur wenig übrig geblieben ist. Dies ist umso bedauerlicher, als den handelnden Akteuren in den jeweiligen Ressorts bereits seit März 2011 eine hervorragende Arbeitsgrundlage vorliegt: Ich spreche hier von dem tragfähigen Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion zum Zweitverwertungsrecht. Dieser berücksichtigt nicht nur die Empfehlungen der großen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland, sondern auch die differenzierten Vorschläge des Bundesrates zum Thema.

Doch leider scheint es die Bundesregierung mit ihrem versuchten Bekenntnis zum Zweitverwertungsrecht nicht wirklich ernst zu meinen. Bei ausführlicher Lektüre des vorgelegten Gesetzentwurfes wird deutlich, dass dies kein echtes Zweitverwertungsrecht ist, sondern eher ein Notlösungsmogelkompromiss. Denn wie aus der Begründung hervorgeht, soll der Anwendungsbereich des § 38 Urheberrecht gravierend eingeschränkt werden: Auf ein Zweitverwertungsrecht können sich nach dieser Begründung nur die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berufen, die entweder an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung tätig sind oder die ihre zu publizierenden Forschungsergebnisse im Rahmen der öffentlichen Projektförderung getätigt haben. Diese willkürliche Beschränkung des Personenkreises wird zudem rechtlich sehr fragwürdig begründet: So bestehe angeblich ein besonders hohes staatliches Interesse an der Verbreitung der Forschungsergebnisse des genannte Personenkreises. Auch wenn sie dies gerne so hätte, bestimmt das Interesse an der Verbreitung bzw. die Relevanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht die Bundesregierung, sondern die forschende Community selbst. Eine auf diese Weise begründete Einschränkung des Personenkreises halte ich für eine verfassungsrechtlich fragwürdige Ungleichbehandlung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Hochschulen. Ein solches – exklusives – Zweitverwertungsrecht für bestimmte, von der Bundesregierung als besonders relevant erachtete Forschungskreise ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern setzt zudem die Forschungsleistung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an deutschen Hochschulen herab. Es ist folglich nicht verwunderlich, wenn der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Horst Hippler, zu dem Ergebnis kommt, „dass durch den vorliegenden Gesetzentwurf der Eindruck entstehe, dass die Bundesregierung die Forschung an deutschen Hochschulen für zweitklassig halte“. Dass er mit seinem Urteil nicht allein dasteht, unterstreichen auch die Stellungnahmen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die ebenfalls eine solch unsachgemäße Einschränkung des Personenkreises ablehnt.

Als sei dies nicht genug, unternimmt die Bundesregierung in ihrem vorliegenden Gesetzentwurf einen weiteren Versuch, ein echtes Zweitverwertungsrecht für die Forschung in Deutschland zu konterkarieren: Die in § 38 Abs. 4 vorgeschlagene Norm schränkt die Zweitveröffentlichung auf die „akzeptierte Manuskriptversion“ ein. Für das Zitieren von Beiträgen ist bekanntermaßen jedoch nicht die Manuskriptversion, sondern die publizierte Version relevant. Hier wurde eine Hürde aufgebaut, um das geplante Zweitverwertungsrecht für Wissenschaft und Forschung – im Interesse der großen Wissenschaftsverlage – möglichst unattraktiv zu machen. Zudem beeinträchtigt eine solche Einschränkung die Qualität der wissenschaftlichen Zweitpublikation in Deutschland.

Weiterhin erschließt sich mir nicht, warum die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nicht nur eine direkte Diskriminierung zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung, sondern auch eine indirekte zwischen den Fachdisziplinen anstrebt. Denn nichts anderes als eine einseitige Benachteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Konsequenz der geplanten gesetzlichen Einschränkung des Zweitverwertungsrechts auf „periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlungen“. Denn gerade in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen zählt die wissenschaftliche Publikation in Sammelbänden und Proceedings zu den am weitesten verbreiteten Publi-kationsformen. Und warum soll überhaupt das Kriterium „zweimal jährlich“ relevant sein für das Recht, seine Erkenntnisse nach Einhaltung einer Embargofrist zweitverwerten zu dürfen?

Lassen Sie mich abschließend Ihren Gesetzentwurf unseren Vorschlägen gegenüberstellen bzw. deutlich machen, was Ihren Entwurf von unserem unterscheidet:

Erstens. Sie wollen ein Zweitverwertungsrecht lediglich einem Teil der Forschungsgemeinde zugestehen. Wir hingegen wollen es für alle Forschenden, deren Forschung mindestens zur Hälfte öffentlich finanziert wurde.

Zweitens. Sie wollen ein Zweitverwertungsrecht für Sammlungen, die mindestens zweimal jährlich erscheinen. Wir hingegen setzen uns dafür ein, dass dieses Recht auf alle Publikationen – so auch Periodika und Sammelwerke – Anwendung findet.

Drittens. Sie wollen den Forschenden die Veröffentlichung nur in der Manuskriptversion zugestehen. Wir hingegen bekennen uns zu wissenschaftlicher Qualität und befürworten die Zweitveröffentlichung in der publizierten Version.

Dies sind aus unserer Sicht die wesentlichen Unterschiede zwischen Ihnen und uns. Unser Vorschlag wird von der Wissenschaftsgemeinde und dem Bundesrat unterstützt. Da stellt sich mir die abschließende Frage: Wer unterstützt eigentlich Ihren Entwurf außer dem Bundesministerium der Justiz?

Geben Sie sich einen Ruck: Machen Sie einen Gesetzentwurf, der der Wissenschaft dient!

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: