Forschung für die zivile Sicherheit
Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 10. Mai 2012 zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen „Forschung für die zivile Sicherheit“; Deutscher Bundestag, 178. Sitzung, TOP 13
René Röspel (SPD): Stellen Sie sich einmal vor, in Ihrer Region würde plötzlich über mehrere Tage der Strom ausfallen. Auf was müssten Sie plötzlich alles verzichten? Könnten Sie noch kochen und heizen? Wie viele und welche Vorräte haben Sie zu Hause, und könnten Sie sie noch nutzen? Wie lang, meinen Sie, wäre ihr Supermarkt ohne Strom funktionsfähig? Wie viel Geld besitzen Sie, falls die Bankautomaten ausfallen? Wie könnten Sie sich fortbewegen, wenn der öffentliche Nahverkehr zusammenbricht und die Tankstellen kein Benzin mehr verkaufen? Welche Medikamente benötigen Sie, und woher erhalten Sie diese im Notfall? All diese Fragen haben sich Bürgerinnen und Bürger 2005 im Münsterland gestellt. Die möglichen katastrophalen Folgen eines flächendeckenden Stromausfalls hat in einer vielbeachteten Studie vor kurzem das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, TAB, aufgearbeitet. Das Szenario Stromausfall ist für unsere Gesellschaft also durchaus realistisch. Deshalb müssen wir uns darauf vorbereiten.
Die Vermeidung bzw. der Umgang mit einem großflächigen Stromausfall ist nur ein Thema des zivilen Sicherheitsforschungsprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF. Die Bandbreite der zu bearbeitenden Themen und Ansätze ist größer. Umso unverständlicher ist es, dass die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP sich in ihrem uns vorliegenden Antrag einseitig auf die realitätsferneren Szenarien konzentriert. Nach Ansicht dieser Fraktionen sollen in erster Linie Terrorismus, Sabotage, organisierte Kriminalität und Piraterie bekämpft werden, wichtige Themen durchaus. Aber das sind doch nicht die primären Aspekte, die unsere Gesellschaft gefährden! In den letzten Jahren haben vielmehr Massenpaniken, Naturkatastrophen, Großunfälle oder natürliche Erreger Menschleben in Deutschland und Europa gefährdet. Genau deshalb gibt es wenigstens im BMBF Ansätze für ein Umdenken. Nur leider scheinen diese Erkenntnisse in der Regierungskoalition noch nicht angekommen zu sein.
Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir aber noch weitere Kritikpunkte hinsichtlich des vorliegenden Antrags. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben seit Beginn des Programms die Techniklastigkeit des Sicherheitsforschungsprogramms bemängelt. Denn Phänomene wie Massenpaniken oder die Auswirkungen des demografischen Wandels auf unsere Rettungskräfte müssen mindestens genauso intensiv von Psychologen oder Soziologen bearbeitet werden. Erst danach kann nach adäquaten Lösungen gesucht werden. Wenn die Bundesregierung im Ausschuss ein Projekt erwähnt, bei dem mit Sensoren in U-Bahn-Tunneln Rauchschwaden detektiert werden können, so ist das interessant und technisch sicherlich anspruchsvoll. Vermutlich aber werden Sie die Sicherheit und das Sicherheitsempfinden von U-Bahn-Fahrern deutlich erhöhen, wenn Sie einfach wieder mehr Schaffner und Personal einsetzen würden. Wäre das nicht eine bessere Antwort auf die Herausforderung „mehr Sicherheit“? Zugutezuhalten ist der Bundesregierung beim Lesen des Rahmenprogramms der Eindruck, dass hier wenigstens teilweise unsere Kritik gewirkt hat. Denn das aktuelle BMBF-Programm räumt dem nichttechnischen Ansatz jetzt einen viel größeren Anteil ein. Leider haben CDU/CSU und FDP auch diese Präferenzverschiebung des BMBF in ihren Antrag nicht aufgenommen.
Die im Sicherheitsforschungsprogramm entwickelten Techniken und Erkenntnisse sollten natürlich so schnell wie möglich in die Praxis überführt werden. Der Großteil der staatlichen Rettungskräfte liegt aber in der Verantwortung der Länder und Kommunen. In beiden sind, unter anderem dank schwarz-gelber Steuergeschenke, die Haushaltskassen leer. Ob die neuen Techniken und Erkenntnisse am Ende den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt zugutekommen, bleibt somit leider fraglich. Auch zu dieser Problematik schweigt sich der uns hier vorliegende Antrag aus.
Bei der Sicherheitsdebatte muss uns allen aber auch klar sein, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt. Auch die besten Sicherheitstechniken oder Programme können darüber nicht hinwegtäuschen. Es wird deshalb vermehrt darum gehen, das individuelle Verständnis von Risiko und Wahrscheinlichkeiten zu verbessern, so wie es Professor Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung vor Jahren angesprochen hat. Insofern ist es nur folgerichtig, dass man sich nach Ansicht des BMBF im aktuellen Forschungsprogramm verstärkt mit diesem Ansatz beschäftigen soll. Aber auch zu diesem richtigen Punkt findet sich in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, leider nichts.
Am Ende Ihres Antrags schreiben Sie, dass sich die technologischen Forschungsaktivitäten an das Prinzip „Security by Design“ halten sollen. Das ist nicht falsch. Aber wie steht es mit dem Prinzip „Privacy by Design“? Sprich: dass bei der Technologieentwicklung von Anfang an der Datenschutz mit zu bedenken ist, um so auch nichtintendierte Folgen zu verhindern. Die gesellschaftliche Debatte um den sogenannten Nacktscanner hat das Problem noch einmal verdeutlicht. Aber zu diesem Ansatz findet sich im Antrag leider auch kein einziges Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, hätte nicht gerade das der Schwerpunkt eines liberalen Antrags sein müssen? Ihr Schweigen ist mir bei diesem Thema wirklich unerklärlich.
Problematisch finden wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch, dass CDU/CSU und FDP explizit fordern, dass die Evaluation des alten Sicherheitsforschungsprogramms erst jetzt, also nach dem Beginn des neuen Sicherheitsforschungsprogramms, beginnen soll. Wie sollen denn so mögliche Evaluations-ergebnisse in das neue Programm eingearbeitet werden? Hätte man nicht bereits wenigstens Teile des Programms evaluieren können? Viele Fragen, im Antrag finden sich leider auch dazu keine Antworten.
Bei den Sicherheitsforschungsprogrammen geht es explizit um zivile Sicherheit, sprich: Prävention und Unterstützung von Polizei, Feuerwehr oder THW. Militärische Anwendungen der Forschungsergebnisse sind nicht Ziel des Programms – und das ist auch gut so. Als ehemaliges Mitglied des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ist mir aber die Dual-use-Problematik sehr gut bekannt. Produkte wie zum Beispiel bestimmte Fahrzeugmotoren können eben in Lkw oder Panzer eingebaut werden. Die aktuelle Diskussion um die Veröffentlichungen der Forschungsergebnisse hochansteckender Grippeviren zeigt, dass die Dual-use-Problematik auch in anderen Bereichen der zivilen Forschung thematisiert werden muss. Mit dieser Problematik dürfen wir Politikerinnen und Politiker die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber nicht alleinlassen. Auch zu diesem Thema hätte man sich in einem Antrag zur Sicherheitsforschung äußern können. Umso wichtiger finde ich es, dass wir als Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung nun beschlossen haben, uns diesem Thema in einem Fachgespräch näher zu widmen. Auf die Ergebnisse bin ich bereits jetzt gespannt.
Um zum Schluss zu kommen: Das von der Bundesregierung vorgelegte Rahmenprogramm zur zivilen Sicherheitsforschung klingt im Ganzen erst einmal positiv. Scheinbar hat das Ministerium aus der Kritik an dem letzten Programm gelernt. Aber leider wissen wir bei dieser Regierung auch, dass Texte schnell geschrieben sind, es dann aber an der Umsetzung hapert. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP hingegen sind bereits beim Schreiben eines Antrags überfordert. In ihrem Text werden zwar durchaus bekannte und richtige Fakten widergegeben; aber die neuen und entscheidenden Akzente des Programms sucht man in diesem Antrag vergeblich. Aus diesem Grund werden wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den vorliegenden Antrag der Koalition ablehnen.