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Forschung zur Sicherung der weltweiten Ernährung

22.03.2012

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René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vorab sagen: Wir sind froh, dass die Koalition einen Antrag zum Thema „Forschung zur Sicherung der weltweiten Ernährung“ vorlegt. Mir ist zwar nicht ganz klar, warum die Bundesregierung mit der Diskussion über einen solchen Antrag beginnt, aber vielleicht ergibt sich das ja im weiteren Verlauf der Debatte.

Wir sind uns sicherlich darüber einig, dass die Welternährung im Sinne der Solidarität auch in der Ersten und in der Zweiten Welt eine der Hauptaufgaben ist. Wir sind uns allerdings nicht darüber einig – das waren wir auch in den letzten Jahren nicht –, wie der Weg dahin beschritten werden sollte, die Welternährung sicherzustellen und den Hunger weltweit zu bekämpfen.

Ich darf aus Ihrem Antrag zitieren. Sie schreiben:

Durch Forschung und Wissenstransfer muss die Wissenschaft zum Aufbau funktionierender, an veränderte klimatische Bedingungen angepasste Ernährungssysteme in den von Hunger betroffenen Regionen beitragen …

Und:

Produktionssteigerung und Nachernteverluste müssen auch unter Einbeziehung neuer Technologien verstärkt von der Forschung aufgegriffen werden. Diese neuen Technologien sind notwendig, um modernes Saatgut, Pflanzenschutz und Düngemittel zu entwickeln… Die Chancen der Grünen Gentechnik … sollten genutzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wir finden Ihre Zielsetzung, die Welternährung sicherzustellen, richtig. Wir haben in Ihrem Antrag auch einige Sätze gefunden, die wir im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung unterstützen können. Aber die Sprache Ihres Antrags – in ähnlicher Weise hat sich vorhin auch der Staatssekretär für die Bundesregierung geäußert – lässt uns leider vermuten, dass es bei den Fraktionen von FDP und CDU/CSU möglicherweise einen Rückfall in die Zeiten und in den Duktus der letzten Jahre gegeben hat. Wir haben häufig genug Anträge diskutiert, wie wichtig denn die Grüne Gentechnik zur Rettung der Welternährung und zur Bekämpfung des Hungers sei. Vielleicht war das ein Beitrag der Bundesregierung, noch einmal hervorzuheben, dass wir durch eine Verbesserung des Saatguts zur weltweiten Ernährung beitragen könnten.

Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der Forschungsstrategie BioÖkonomie spiegelt die Zusammensetzung des BioÖkonomieRats – also eines wesentlichen Gremiums – nicht die Intention wider, etwas für den ökologischen Landbau, für Entwicklungspolitik zu machen. Ich habe gar nichts gegen die Personen, aber der Rat setzt sich zusammen aus den Vertretern der großen Konzerne und den Vertretern der wissenschaftlichen Institutionen. Dort ist man mit Technik oder Biologie befasst, aber nicht mit Sozialwissenschaften, und damit nicht mit der Welternährung im engeren Sinn. Genau das ist unser Kritikpunkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Sprache in dem Antrag suggeriert: Wir als westliche Welt entwickeln die Technologie und die Methoden. Diese geben wir dann der Dritten Welt, damit sie dort Anwendung finden. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Ausschuss – leider nicht hier – haben wir den Antrag gemeinsam mit dem Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beraten, den Sie zwar auch erwähnen – Forschung zur Lösung des Welternährungsproblems –, in den Sie aber, glaube ich, nicht hineingeschaut haben.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ein hervorragender Bericht!)

Denn daraus ergeben sich andere Schlussfolgerungen und andere Wahrnehmungen. Ich will es plakativ sagen: Im TAB-Bericht steht: 1 Milliarde Menschen auf der Welt leidet Hunger. 1 Milliarde Menschen auf der Welt ist übergewichtig und fehlernährt. Das kann man natürlich nicht pauschal saldieren, aber es zeigt einen Kernpunkt, der auch im Bericht erwähnt wird: Seit Jahrzehnten gibt es eine weltweite Überproduktion von Nahrungsmitteln. Wenn wir über ein Welternährungsproblem reden, reden wir nicht über ein Mangelproblem, sondern wir reden über ein Armutsproblem und in erster Linie über ein Verteilungsproblem.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind in der Lage, genügend Nahrungsmittel zu produzieren, und zwar für alle Menschen auf dieser Welt und noch viel mehr. Wir schaffen es aber nicht, die Ernährung sicherzustellen, weil die Verteilung nicht funktioniert. Die Lösung dieses Problems wird man sicherlich nicht in erster Linie über Technikansätze finden, sondern über gesellschaftliche und politische Ansätze. Dazu braucht man eben auch zum Beispiel die Sozialwissenschaften.

Sie hätten in den TAB-Bericht schauen sollen. Es gibt im Antrag einige Ansatzpunkte, die vernünftig sind. Aber es wird zum Beispiel auch gefordert, dass die Grundnahrungspflanzen Mais, Reis, Weizen und Soja in den Blick genommen werden sollen. Das sind genau die Pflanzen, bei denen in der Regel weltweit die Gentechnik genutzt wird. Im Bericht des TAB – ein sehr differenzierter, guter Bericht – finden Sie ein ganzes Kapitel über sogenannte vernachlässigte Kulturpflanzen. Das sind diejenigen Pflanzen, die in den betroffenen Regionen existieren, die nicht nur an die geografischen Standorte angepasst sind, sondern auch – das ist eigentlich viel wichtiger – an die dortigen sozioökonomischen Verhältnisse; das heißt, die Bauern haben jahrhundertelang gelernt, mit diesen Pflanzen umzugehen. Jetzt kommt – etwas verkürzt gesagt – das neue Saatgut, die neuen westlichen Hightechpflanzen, und sollen die Rettung bringen. Es wäre sinnvoll, zu erforschen – es gibt in diesem Bereich einen großen Forschungsbedarf –, wie die alten Sorten, die vernachlässigten Kulturpflanzen vor Ort vernünftig und mit höherer Effizienz angebaut werden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zweiter Punkt. Ein wichtiger Aspekt im TAB-Bericht, der überhaupt nicht erwähnt wurde – weder im Antrag noch gerade von der Bundesregierung –, ist der Bereich des Ökolandbaus in Entwicklungsländern. Ich fand die Aussage im TAB-Bericht schon sehr spannend: Der Ökolandbau in Deutschland bringt im Vergleich zum konventionellen Landbau nur 80 Prozent der Erträge; aber der Ökolandbau in den Entwicklungsländern bringt in der Regel 80 Prozent mehr Ertrag als der konventionelle Landbau.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)

Das hat mit der Düngesituation und anderem zu tun. Es zeigt: Hier besteht ein großer Bedarf für Forschung.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Die rot-grüne Regierung hat 2002 ein Bundesprogramm Ökologischer Landbau, damals mit einem Volumen von 35 Millionen Euro, gestartet. Wir stellen fest, dass dieser Ansatz heute, im Jahre 2011, um mehr als die Hälfte reduziert ist.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Unerhört!)

Es wäre ein wichtiger Punkt, hier auch für die Dritte Welt und die Betroffenen verstärkt Forschung zu betreiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein wichtiger Punkt ist auch der Beitrag der Kleinbauern vor Ort zur Ernährung der Region; er wird immer unterschätzt. Dazu kein Wort seitens der Bundesregierung oder im Antrag. Es muss leider eine private Stiftung sein – trotzdem danke schön! –, die Stiftung Mercator, die zusammen mit der ETH, einer Hochschule in Zürich, ein 5-Millionen-Franken-Projekt auf den Weg bringt, bei dem es darum geht, nachhaltige Landwirtschaft und die Bedeutung von Kleinbauern in den Regionen einmal wirklich zu erforschen und ihre Situation zu verbessern. Man schaut auf das, was wichtig ist, nämlich darauf, wie die Situation der Kleinbauern in den betroffenen Regionen verbessert werden kann. Warum macht das eine private Stiftung? Wo ist da der Bund? Wo ist die Initiative Ihrer Regierung in dieser Frage? Das wäre ein
richtiger Ansatzpunkt gewesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die mangelnde Initiative hat vielleicht damit zu tun, dass es – auch das ist ein Anregungspunkt aus dem Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung – eine Marginalisierung der agrarwissenschaftlichen Forschung in Deutschland gibt, gerade in den Bereichen Agrarsoziologie und Agrarökonomie. Es wird überwiegend auf die Technik geschaut; aber die Beschäftigung mit den anderen Fragestellungen wird seit Jahren zurückgeführt: Wie wird richtig angepflanzt? Wie ist im Umfeld besonderer geografischer oder ökonomischer Bedingungen vorzugehen? Es wäre angezeigt, eine Initiative für mehr agrarwissenschaftliche Forschung in diesem Bereich auf den Weg zu bringen.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Das schließt die Frage ein, wie es eigentlich gewährleistet werden kann, dass die Bauern einen fairen Zugang zu dem bekommen, was sie selbst erwirtschaften, Stichwort, wie es so schön auf Neudeutsch heißt: Access and Benefit Sharing.

Also: Wir sehen, dass es viele Chancen und Verpflichtungen gibt, auch für unser Land. Wir finden, dass gerade in dem TAB-Bericht ein Füllhorn von Möglichkeiten genannt wird, die Sie hätten nutzen und in Ihren Antrag einbringen können. Das ist nicht passiert. Das bedauern wir genauso wie die technische Orientierung des Antrags. Deswegen werden wir weiterhin einen anderen, ganzheitlicheren Weg wählen und Ihrem Antrag nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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