Vernachlässigte Krankheiten
Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 08. März 2012 zum Koalitions-Antrag „Forschung und Produktentwicklung für vernachlässigte und armutsassoziierte Erkrankungen stärken“ und zum GRÜNEN-Antrag „Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen“; Deutscher Bundestag, 165. Sitzung, Anlage 4, TOP 15 a und b
René Röspel (SPD):
Rückblickend kann festgestellt werden, dass die
sogenannten vernachlässigten Krankheiten – bzw. die Erforschung von
Behandlungsmöglichkeiten derselben – nicht nur in der Industrie, sondern
auch in der Politik in der Vergangenheit nur wenig Beachtung gefunden
haben. Umso erfreulicher ist es, dass sich nach vielen Jahren der
Untätigkeit nun endlich die Politik des Themas angenommen und es im
parlamentarischen Raum Berücksichtigung gefunden hat. Allerdings wäre es
wünschenswert, wenn das Thema auch im Plenum seine angemessene
Wertschätzung finden würde: Mit Bedauern ist festzustellen, dass nicht
nur am heutigen Tag, sondern zum wiederholten Mal die Debatte zu diesem
Thema nicht im Plenum geführt wird, sondern zu Protokoll geht. Es sei an
dieser Stelle die Frage erlaubt, ob eine echte parlamentarische
Wertschätzung dieses Themas – und letztlich der Respekt für die
Menschen, die von diesen Krankheiten betroffen sind – nicht einen
angemesseneren Umgang im Plenumsbetrieb erfordert?
Der
vorliegende, von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Antrag verweist
auf die Potenziale von Produktpartnerschaften – sogenannte PDP – bei der
Bekämpfung der vernachlässigten Krankheiten. Leider muss mit Bedauern
festgestellt werden, dass sich der Antrag im Wesentlichen auf
Tatsachenbeschreibungen bzw. die Wiedergabe der derzeitigen Situation
beschränkt. Der Appell nach einer Ausweitung der Förderung bzw. einer
künftigen Fortführung derselben wird leider nicht mit der Forderung nach
der Bereitstellung von konkreten Haushaltsmitteln für dieses Vorhaben
unterfüttert. Zwar wird ein Mittelaufwuchs in den „kommenden Jahren“
angestrebt. Allerdings wird weder der Zeithorizont noch die notwendige
Höhe dieses Mittelaufwuchses spezifiziert. Dies ist enttäuschend, zumal
man von einem Antrag der Legislative doch erwarten könnte, dass er an
die Exekutive konkrete Forderungen stellt.
Ebenfalls merkwürdig
ist die Forderung, dass PDP im Bereich der „Diagnose oder Behandlung“
der vernachlässigten Krankheiten gefördert werden sollen. Ist dies nicht
per se Sinn und Zweck dieses Förderprogramms?
Aber nicht nur
das: Der Antrag weist noch weitere Forderungen auf, deren Sinnhaftigkeit
sich dem geneigten Leser nur schwer erschließt. So wird etwa unter
Punkt 10 gefordert, dass „die nationale Förderung im Bereich der
Grundlagenforschung, präklinischen Forschung und der klinischen
Forschung fortzusetzen“ sei. Droht diesen Formen der Forschung in
Deutschland ein Ende? Und wenn ja, dann sei an dieser Stelle die
(diabolische) Frage erlaubt, was denn die Alternative zu diesen Formen
der Forschung im Gesundheitsbereich sein soll. Nach meinem Kenntnisstand
hat es die moderne Medizin und Gesundheitsforschung bisher nicht
geschafft, auf einem anderen Wege Behandlungsmöglichkeiten für erkrankte
Patienten bereitzustellen.
Weiterhin muss darauf hingewiesen
werden, dass ein Teil des Forderungskatalogs nicht konsistent ist: So
wird in Forderung Nr. 5 explizit darauf verwiesen, dass bei der
Förderung von PDP ein „ausgewogenes Verhältnis von Grundlagenforschung“
und „produktorientierter Forschung“ anzustreben ist. Doch schon in
Forderung Nr. 6 findet sich der Verweis, dass bei der Unterstützung von
PDP die „bedarfsorientierte […] Entwicklung […] von Medikamenten im
Vordergrund“ stehen soll. Da fragt sich selbst der wohlgesonnene Leser
„Was denn nun?“. Ausgewogene Grundlagenforschung oder doch eine schnelle
und output- bzw. bedarfsorientierte Anwendungsforschung?
Wie
eine leere Hülse wirkt der in Nr. 11 gestellte Appell, die „Wissensbasis
für die Verbesserung der medizinischen Versorgung in den Schwellen- und
Entwicklungsländern zu verbreitern“. Stellt sich nur die Frage, wessen
Wissensbasis verbreitert werden soll. Die unsrige zu den Verhältnissen
vor Ort, oder die in den Zielländern?
Lobend sei an dieser Stelle
der Tatendrang der Forderungen Nr. 12 und 13 erwähnt. Hier wird
vollmundig zu Capacity-Building-Maßnahmen aufgerufen. Eine solche
Forderung lässt sich stets leicht aufstellen. Wenn man es jedoch ernst
meint, dann muss dafür auch zusätzliches Geld bereitgestellt werden. Es
ist fraglich, wie nachhaltige und substanzielle Maßnahmen zur Steigerung
der Forschungskapazitäten in den betroffenen Zielländern geschaffen
werden sollen, wenn für das jährliche Gesamtbudget der PDP-Förderung nur
5 Millionen Euro veranschlagt sind. Zudem bleibt offen, wie viel von
diesem Geld tatsächlich in den Zielländern ankommen soll. Weiterhin wäre
es wünschenswert, wenn geplante Maßnahmen im Bereich des Capacity
Building – deren Wichtigkeit hier nicht infrage gestellt wird – nicht
auf Kosten des PDP-Forschungsbudgets gehen würden. Beides, gute
Forschung und nachhaltige Strukturen in den betroffenen Zielländern,
sind nur durch adäquate Finanzmittel erreichbar. Inhaltliche Qualität
beruht auch in diesem Fall maßgeblich auf finanzieller Quantität.
Der
Appell, die klinische Forschung der „Großen Drei“, also HIV/Aids,
Malaria und Tuberkulose über die EDCTP-Initiative weiter voranzutreiben,
ist redlich. Warum setzt man sich aber vonseiten der Regierung nicht
auf europäischer Ebene dafür ein, dass künftig auch die klinische
Forschung für andere vernachlässigte Krankheiten über dieses
Finanzierungsinstrument gefördert wird? Es wäre doch wünschenswert, wenn
die Bekämpfung der vernachlässigten Krankheiten in den
Entwicklungsländern nicht nur eine nationale, sondern auch eine
europäische Aufgabe wird, zumal es auf europäischer Ebene bereits
erfolgversprechende Finanzierungsinstrumente gibt.
Unter Nr. 16
wird die Forderung nach einer künftigen Fortführung der PDP-Förderung
von einer positiven Evaluation der ersten Förderrunde abhängig gemacht.
Zwar ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass förderpolitisches Handeln
sich einer kritischen Prüfung zu stellen hat. Allerdings sollte man doch
erwarten können, dass diejenigen, die die Forderung nach einer
„positiven Evaluation“ stellen, auch spezifizieren können, was überhaupt
Gegenstand einer solchen Evaluation sein soll. Soll bei einem solchen
Begutachtungsverfahren die Grundlagenforschung oder die
anwendungsorientierte Entwicklung von Medikamenten im Fokus stehen? Oder
etwa das Vergabeverfahren des BMBF selbst? In letzterem Fall wäre es zu
begrüßen, wenn das Schicksal der PDP nicht von der Leistungsfähigkeit
des Ministeriums
und seinen Projektträgern abhängig gemacht wird. Denn dies wäre eine unsachgemäße Bewertung eines an sich positiven Ansatzes.
In
der Gesamtschau wird deutlich, dass der vorliegende Antrag einer
grundlegenden Überarbeitung bedarf. Eine vernünftige und nachhaltige
Förderpolitik für PDP braucht ein klares Bekenntnis der Politik, welches
sich auch in der Bereitstellung adäquater Haushaltsmittel
widerspiegelt. Wenn die Exekutive es nicht vermag, diese Mittel in
angemessenem Maße bereitzustellen, dann muss es die Aufgabe des
Parlamentes mit seiner Haushaltshoheit sein, dies mit Nachdruck
einzufordern. Leider vermag der vorliegende Antrag der
Koalitionsfraktionen dies nicht. Deshalb werden wir nicht zustimmen.