Öffentlich finanzierte Pharmainnovationen - Rede zum Antrag der Linken
Zu Protokoll gegebene Rede zum Antrag der Linken "Öffentlich finanzierte Pharmainnovationen zur wirksamen Bekämpfung von vernachlässigten Krankheiten in Entwicklungsländern einsetzen" vom 19. März 2009
Die Situation ist erschreckend. Laut WHO starben allein im Jahr 2006
1,7 Millionen Menschen an Tuberkulose. Neben dieser „weißen Pest“
raffen aber auch HIV/AIDS und Malaria Millionen von Menschen jährlich
hin. Das menschliche Leid, welches hinter diesen Zahlen steht, können
wir uns gar nicht ausmalen. Hinzu kommen weniger bekannte
Tropenkrankheiten wie Elefantiasis oder Flussblindheit, die zwar nicht
tödlich sind, aber trotzdem großes Leid verursachen. Alle diese
Krankheiten wüten wiederum vorwiegend in ärmeren Ländern in Afrika und
Asien.
Vor dem Hintergrund dieser erschreckenden Zahlen will ich ausdrücklich
appellieren, sich von der Bezeichnung „vernachlässigte“ Krankheiten
nicht irreführen zu lassen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, es
handele sich etwa um vernachlässig„bare“ Krankheiten, nur weil sie in
unseren Breiten oder unserer Gesellschaft keine Rolle spielen. Dieser
Eindruck entsteht nur dort, wo der Blick nicht über den Tellerrand
hinausgeht, man sich in der mitunter trügerischen Sicherheit wiegt, man
selbst könne davon nicht betroffen sein oder wo es an Solidarität mit
betroffenen Menschen in anderen Ländern mangelt. Meine Erfahrung ist,
dass auf Nachfrage in Veranstaltungen allenfalls noch die sog.
Kriegsgeneration konkrete Erfahrungen oder Erinnerungen beispielsweise
an Tuberkulose hat. Dennoch zeigen die Zahlen, welche Bedeutung diese
Krankheit nach wie vor hat und auch wieder bekommen wird – wenn wir
nicht mit gemeinsamer Kraft entgegen steuern.
Aber auch Europa ist schon längst nicht mehr verschont. In Osteuropa
ist Tuberkulose verbreitet. Eine Herd für Neuinfektionen sind offenbar
die russischen Gefängnisse. So werden laut einer Studie jedes Jahr
30 000 Gefangene mit Tuberkulose aus russischen Gefängnissen entlassen.
Aber auch in Deutschland tritt Tuberkulose auf. 2006 starben daran ca.
600 Menschen bei zunehmend auftretenden Resistenzen des Erregers
gegenüber Medikamenten.
Die sogenannten vernachlässigten Krankheiten sind für Deutschland somit
eine moralische und entwicklungspolitische aber auch gesundheits- und
forschungspolitische Herausforderung. Eine Lösung liegt neben
präventiven Maßnahmen, wie zum Beispiel besserer Hygiene und ein gutes
Gesundheitssystem, in der Pharmaforschung und einem bedarfsgerechten
Zugang zu Medikamenten. Das beinhaltet Maßnahmen hier in Deutschland
sowie Anstrengungen bzw. Unterstützungen in den besonders stark
betroffenen Ländern.
Bereits die rotgrüne Bundesregierung hat sich dieser Verantwortung
gestellt und die Große Koalition setzt dies fort. Allein für
Tuberkulose hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im
Zeitraum 2004 bis 2010 für Forschungsvorhaben sechs Millionen Euro
bereitgestellt. Hinzu kommen noch einmal fast 28 Millionen Euro für
übergreifende Programme, in denen auch an Tuberkulose geforscht wird.
Aber nicht nur in der Politik wird das Problem erkannt. Auch die
deutsche Forschung verstärkt ihre Anstrengung in diesem Bereich. So hat
die Deutsche Forschungsgesellschaft ein Afrika-Programm mit dem
Schwerpunkt „tropische Infektionskrankheiten“ ausgeschrieben, das
bereits jetzt überzeichnet ist und eine Vielzahl erfolgversprechender
Projekte erwarten lässt.
Das Parlament hat sich damit aber nicht zufrieden gegeben. In den
letzten Haushaltsverhandlungen haben die Koalitionsfraktionen deshalb
darauf hin gewirkt, dass die Gelder zur Bekämpfung vernachlässigter
Krankheiten für 2009 noch einmal um drei Millionen erhöht worden sind.
Forschungs-, Entwicklungs- und Haushaltspolitiker der Koalition
arbeiten auch in dieser Frage eng zusammen. Das Thema ist bei uns als
Querschnittsthema, wie im Antrag gefordert, bereits erkannt und
angegangen worden.
Das dokumentiert auch der vor fast einem Jahr von meinem
Fraktionskollegen Dr. Wolfgang Wodarg dankenswerterweise initiierte und
in den Bundestag eingebrachte Antrag „Deutschlands globale
Verantwortung für die Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten –
Innovation fördern und Zugang zu Medikamenten für alle sichern“
(Drucksachennummer 16/8884),
der nicht nur auf die Problematik hinweist, sondern auch eine Reihe von
Forderungen abdeckt, die jetzt auch der vorliegende Antrag der Fraktion
der Linken aufgreift.
Ich halte nicht nur deswegen viele Punkte aus dem Antrag der
Linksfraktion für vernünftig und unterstützenswert, allerdings können
wir ihn in anderen Punkten nicht unterstützen, weil er nicht ausgegoren
genug ist und eher kontraproduktiv wirken würde.
Beispiel: Die Forderung beispielsweise, „zehn Prozent der für die
Pharmainitiative verausgabten Mittel“ - das wären über 80 Millionen
Euro! - zukünftig direkt für die Forschung zur Bekämpfung von
vernachlässigten Krankheiten auszugeben, geht an der Realität vorbei
und muss als Aktionismus bezeichnet werden. Wir haben auf dem
Parlamentarischen Abend des „Stop-TB-Forums“ im Oktober 2008 erfahren
können, dass die deutsche Forschung in diesem Bereich gut aufgestellt
und die Kapazitäten ausgenutzt sind. Nun eine „Geldlawine“, die zudem
noch aus anderen Bereichen der Gesundheitsforschung abgezogen werden
soll, anzubieten, ohne dass das Geld sinnvoll genutzt werden könnte,
ist schlicht der falsche Weg. Sinnvoller ist der von uns beschrittene
Weg des kalkulierbaren, kontinuierlichen Aufwuchses in diesem
Forschungsbereich, auf den sich ForscherInnen einstellen können. Es
gilt hier, die Kapazitäten nachhaltig auszubauen.
Verständnis habe ich für die Kritik des Antrages am internationalen
Patentsystem, die aber auch schon im Koalitionsantrag des letzten
Jahres zum Ausdruck kommt.
Nachvollziehbar finde ich auf den ersten Blick auch die kritische
Befassung mit der vom BMBF geförderten Vakzine Projekt Management GmbH
(VPM), bei der man sich gerne idealerweise vorstellen kann, dass die
entwickelten Produkte und Impfstoffe am besten kostenfrei an Betroffene
in den Entwicklungsländer abgegeben werden würden.
Allerdings können wir realistischerweise auch nicht ignorieren, dass
wir uns in einem Spannungsfeld bewegen, das so einfach nicht aufzulösen
ist. VPM wird durch das BMBF so gefördert, dass Vakzinekandidaten bis
zur Phase I einer klinischen Prüfung entwickelt werden können. Ohne
diese staatliche Förderung wäre der Impfstoff vermutlich in einem
frühen Entwicklungsstadium verblieben und hätte aller Voraussicht nach
keine Chance auf Weiterentwicklung gehabt, weil er für kommerzielle
Partner (leider) (noch) nicht interessant bzw. ertragreich genug
gewesen wäre. Eine allein staatliche Finanzierung der Weiterentwicklung
von Impfstoffkandidaten bis zur Marktzulassung würde sehr
wahrscheinlich sowohl die finanziellen wie auch rechtlichen
Möglichkeiten des Staates sprengen. Eine finanzielle Unabhängigkeit der
Weiterentwicklung nach der Anschubfinanzierung durch den Staat wird nur
erreicht, wenn ein privater/kommerzieller Investor entweder mit
humanistischem Anliegen auftritt oder seine zu erwartenden
Investitionen durch ausreichende Vermarktbarkeit refinanzieren kann.
Das ist im Bereich vernachlässigter Krankheiten, für die es entweder zu
wenig Betroffene oder zu wenig kaufkräftige Betroffene gibt, leider
nicht zu erwarten, wenn die Vermarktungsmöglichkeiten auch noch
eingeschränkt werden.
Davon unabhängig bleiben wir bei unserer Aufforderung an das BMBF, im
Rahmen seiner Möglichkeiten seine Verhandlungsspielräume zu nutzen, um
einen begünstigten Zugang für Entwicklungsländer zu ermöglichen.
Der Ausbau von Forschung und Gesundheitssystemen in den betroffenen
Gebieten muss verstärkt werden. Dies passiert bereits durch nationale
auch europäische Finanzierung. Doch in Ländern, in denen nicht einmal
kontinuierliche Wasser- und Stromversorgung gewährleistet sind, wird
der Aufbau, geschweige denn der Ausbau von Forschungskapazitäten, nur
sehr langsam vorankommen. Es braucht somit auch Zeit.
Mit dem Thema öffentliche klinische Studien in armen Ländern werden wir
uns noch einmal intensiver auf Grund der EU-Mitteilung „Partnerschaft
Europas und der Entwicklungsländer im Bereich klinischer Studien“ im
Ausschuss beschäftigen. Ich möchte an dieser Stelle aber schon einmal
sagen, dass man an dieses Thema sehr differenziert herangehen sollte.
Der Kapazitätsausbau von Forschungsinfrastruktur und Wissen ist
richtig. Aber eine Verlagerung von klinischen Studien in
Entwicklungsländer aus rein finanziellen Gründen darf es nicht geben.
Denn dies wäre aus verschiedenen Gründen problematisch. So ist die
Vergleichbarkeit nicht immer gegeben. Aber besonders die Einhaltung
ethischer Grundsätze bei der Durchführung klinischer Studien ist in
Entwicklungsländern viel schwerer zu überprüfen. Dabei darf der Schutz
von Menschen im Rahmen von klinischen Studien nicht vom
Durchführungsort der Untersuchung abhängig sein.
Wie Sie sicherlich wissen, habe ich mich bereits in der Vergangenheit
sehr kritisch mit dem TRIPS-Abkommen auseinander gesetzt. Dabei musste
ich aber auch die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten eines deutschen
Parlamentariers erkennen. Einige Kritikpunkte teile ich deshalb
durchaus. Ich glaube aber nicht, dass die Herausnahme des Abkommens aus
dem WTO-System uns wirklich weiterbringt. Ich plädiere vielmehr für
eine Reformierung bzw. Weiterentwicklung von TRIPS.
Insgesamt scheinen mir die Vorschläge des Koalitionsantrages aus dem letzten Jahr zielführender zu sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!