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Forschung für die zivile Sicherheit

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09.02.2012

Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPDFraktion.

(Beifall bei der SPD)

René Röspel (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt hier vielleicht noch einige, die sich daran erinnern, wie wir vor gut sechs Jahren in der Großen Koalition durchaus heftig gestritten haben, als es darum ging, das erste Sicherheitsforschungsprogramm auf den Weg zu bringen. Wir, die SPD, haben Kritik geübt und sie auch aufrechterhalten, weil für uns das erste Sicherheitsforschungsprogramm zu technikzentriert bzw. technikorientiert war, weil ihm ein zu enger Sicherheitsbegriff zugrunde lag, weil dieses Programm zu sehr auf Terrorismusbekämpfung abgehoben hat und weil die Kernfrage – Was bedroht die Gesellschaft? – eigentlich nicht berührt worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Danke.

Ich will ausdrücklich betonen, dass wir schon feststellen, dass in dem zweiten Sicherheitsforschungsprogramm, auch wenn viele der Projekte noch nicht abgeschlossen sind – wir hätten uns gewünscht, dass man wirklich einmal Erfahrungen sammelt, um zu sehen, welche Neuerungen angestrebt werden –, einige unserer Kritikpunkte von damals aufgenommen wurden und dass versucht wurde, den Sicherheitsbegriff zu verbreitern und einen gesellschaftlichen Schwerpunkt zu setzen. Wir finden das Wort „Terrorismus“ nicht mehr so häufig, wie es noch im ersten Sicherheitsforschungsprogramm der Fall war, und sind darüber recht froh.

Aber es bleibt eine Reihe von Kritikpunkten. Einer dieser Punkte ist, dass der Sicherheitsbegriff, über den wir reden, immer noch unklar und schwammig ist.

(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

Sicherheit ist nicht Sicherheit. Es wird einfacher, wenn man in das Angelsächsische eintaucht. Die englischsprachigen Länder unterscheiden zwischen „safety“ einerseits und „security“ andererseits. Wir übersetzen beides mit „Sicherheit“.

Wenn man zum Beispiel ein Auto konstruiert, mit dem man sich sicher durch den Verkehr bewegt, dann würde das unter dem Gesichtspunkt „safety“ so aussehen, dass man eine sichere Fahrgastzelle konstruiert, dass man gute Bremsen, einen Airbag und ein ABS einbaut, sodass also feststeht: Mit diesem Auto fährt man sicher durch den Straßenverkehr. Das steckt hinter „safety“.

Wenn man ein Auto unter dem Gesichtspunkt „security“ baut, dann wird man schussfeste Scheiben einbauen, schussfeste Reifen nutzen und das Auto panzern. Mit diesem Auto fährt man ebenfalls „sicher“ durch den Straßenverkehr, zum Beispiel in Afghanistan. Aber dahinter steht ein anderer Sicherheitsbegriff. Im Englischen wird das deutlicher als bei uns unterschieden.

Es ist wichtig, zu unterscheiden, welche Art von Sicherheit man wirklich haben will. Einer der Schwachpunkte des Sicherheitsforschungsprogrammes ist, dass man in den einzelnen Bereichen nicht erkennen kann: Um welche Form von Sicherheitsforschung geht es tatsächlich? Geht es wieder um eine technologische Frage? Handelt es sich um den Versuch, mit technischen Mitteln auf Sicherheitsprobleme zu reagieren oder nicht?

Ein weiterer Punkt, den wir in diesem Programm wirklich vermissen, ist, dass nach wie vor nicht darüber gesprochen wird und auch nicht erforscht werden soll, welche Bedrohungsszenarien vorliegen, was die Gesellschaft wirklich bedroht. Ich habe letzte Woche eine schriftliche Frage an die Bundesregierung gerichtet, sozusagen als Vorbereitung auf diese Debatte. Ich wollte damit die Möglichkeit schaffen, dass die Bundesregierung das Ganze doch noch klärt. Meine Frage war:

Welche wissenschaftlich fundierten Bedrohungsszenarien liegen dem neuen … Sicherheitsforschungsprogramm zugrunde?

Die Antwort ist: Ja, es – Zitat –

… liegen Bedrohungsszenarien zugrunde, die unter anderem den Schutz der Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen vor Bedrohungen durch Terrorismus, Sabotage, organisierte Kriminalität, Piraterie, aber auch vor den Folgen von Naturkatastrophen und Großunfällen betreffen.

All das ist mit Experten aus Forschung und Industrie sowie mit privaten und staatlichen Endnutzern diskutiert worden.

Das allerdings ist nicht gemeint bei der Überlegung, welche Bedrohungen und Gefahren diese Gesellschaft wirklich betreffen könnten. Es ist völlig klar: Wenn Sie mit dem THW und den freiwilligen Feuerwehren – die wir alle schätzen – eine Großschadensereignisanalyse machen und fragen, was sie im Katastrophenfall an Bedürfnissen und Anforderungen an die Politik haben, dann werden sie zum Beispiel sagen: Wir brauchen eine gute Beleuchtungseinheit. Wir brauchen diese und jene technische Einrichtung. – Aber genau darum geht es nicht.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Können wir jetzt klatschen?)

– Bitte schön, gerne. –

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Das ist nur Großschadensereignisdiskussion.

Was wir wissen wollen und müssen, ist: Worin bestehen die Bedrohungen für diese Gesellschaft? Ich will ein paar Beispiele nennen, um das etwas deutlicher zu machen. Vor zehn Jahren gab es in den Medien Diskussionen darüber, dass der Milzbranderreger, Anthrax, verschickt worden ist. Das wurde als große Bedrohung für die Gesellschaft dargestellt. Wenn man sich damit etwas näher befasst hat, hat man gesehen: Das kann überhaupt keine terroristische Bedrohung werden, weil die Mittel der Verteilung für Terroristen nicht gegeben sind, dass also keine Bedrohung für die Gesellschaft besteht. Aber wir und die Öffentlichkeit haben so reagiert, als wäre es eine Bedrohung.

Umgekehrt geht es auch. Einige Kollegen erinnern sich vielleicht daran, dass uns vor zwei oder drei Jahren ein Forscher bei einem Forschungsfrühstück sagte: Jedes Jahr sterben in Deutschland 10 000 Menschen, weil sie nicht grippeschutzgeimpft sind. Diese Zahl ist wahrscheinlich zu hoch. Die Frage ist auch: Ist eine Bedrohung wie Grippetod durch Schutzimpfungen abwendbar? Dieser Punkt ist nicht in dem Bereich „Pandemie“ erfasst, weil es dabei um terroristische Akte geht. Die Frage ist: Kann man diese Bedrohung für die Gesellschaft reduzieren, und, wenn ja, wie? Das wäre die adäquate Antwort auf ein Bedrohungsszenario gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Ein letztes Beispiel: Vielleicht sind wir uns alle in der Einschätzung einig, dass wir vor kurzer Zeit einen Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung erlebt haben, nämlich als bekannt wurde, dass die Neonazis der Zwickauer Terrorzelle in Deutschland zehn Morde begangen haben. Dass wir einen zunehmenden Rechtsextremismus beklagen müssen, ist aus meiner Sicht auch eine Bedrohung für unsere Gesellschaft,

(Beifall bei der SPD)

allerdings glücklicherweise mit einer kleinen Zahl von Opfern. Die Frage ist also auch, ob Bedrohung auch von quantitativen Aspekten abhängt, also davon, wie viele Opfer es gibt, ob 3, 5 oder 1 000. All das wäre zu klären.

Es gibt übrigens schon entsprechende Maßnahmen in diesem Bereich. Am Samstag war ich beim Neujahrsempfang der Evangelischen Schülerinnen- und Schülerarbeit in Westfalen, die seit Jahren Antirassismusaktionen sowie interreligiösen und interkulturellen Jugendaustausch durchführen. Ihr Ansatz ist es, der Bedrohung durch Rechtsextremismus präventiv zu begegnen, klagen aber zugleich seit Jahren über Geldmangel und mangelnde Mittelausstattung. Hier für Abhilfe zu sorgen, darin hat sich diese Bundesregierung leider nicht hervorgetan.

Wir haben das Problem, dass diese Punkte nicht geklärt sind. Das sind Schwachstellen im Sicherheitsforschungsprogramm.

Lassen Sie mich meine letzte Redeminute nutzen und zum Ende noch zwei Punkte vortragen. In Ihrem Antrag ist davon die Rede, dass Sie eine ausgewogene Balance von Sicherheit und Freiheit hinbekommen wollen.

(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Sehr richtig!)

Abgesehen davon, dass der Begriff „ausgewogene Balance“ Quatsch ist – entweder gibt es eine Balance oder nicht –, sagen wir ausdrücklich: Uns ist es wichtig, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben. Das steht an allererster Stelle.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Wo das nicht möglich ist und wo es Ansätze gibt, dass man das durch Sicherheit auszugleichen versucht, muss man das intensiv diskutieren. Es wird aber keine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit geben.

Zu den Schwerpunkten Ihres Sicherheitsforschungsprogramms gehört schließlich, dass Deutschland seine wirtschaftlichen Chancen im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung nutzt. Hier präsentieren Sie Ihr Ziel, Deutschland zum führenden Anbieter von Sicherheitstechnologie in anderen Ländern zu machen. Das wirtschaftliche Ziel steht bei Ihnen also ganz vorne. Das haben Sie gerade in Ihrer Rede noch einmal herausgestellt, Herr Staatssekretär. Das ist nicht unsere Vorstellung von Sicherheitsforschung. Wir wollen, dass die Bevölkerung in dieser Gesellschaft sicher und frei lebt. Dazu bräuchte man ein anderes Sicherheitsforschungsprogramm.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: