Schutz der biologischen Vielfalt - Die Taxonomie in der Biologie stärken
Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 10. Mai 2012 zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem SPD-Antrag „Schutz der biologischen Vielfalt - Die Taxonomie in der Biologie stärken“; Deutscher Bundestag, 178. Sitzung, TOP 17
René Röspel (SPD): Das Thema der Taxonomie in der Biologie steht heute zu später Stunde auf der Tagesordnung. Das ist schade, denn, wie ich noch ausführen werde, handelt es sich hierbei um ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit, auch in der Politik, verdient hätte.
Bei der Taxonomie handelt es sich um die Wissenschaft der systematischen Bestimmung und Einteilung von Tieren und Pflanzen in Kategorien wie Familie, Gattung und Art. Nachgewiesen sind auf unserer Erde circa 1,5 bis 1,75 Millionen Pflanzen- und Tierarten. Schätzungen gehen aber davon aus, dass es weltweit mindestens zwischen 13 und 20 Millionen Arten gibt. Viele Arten sind bisher noch nicht entdeckt und wissenschaftlich eingeordnet worden. Die Benennung neuentdeckter Tiere und Pflanzen fällt ebenfalls in die Arbeit von Taxonomen. Man geht heute davon aus, dass täglich zwischen 2 und 130 Arten aussterben. Da jede Art seine Rolle innerhalb des Ökosystems hat, geht dabei nicht nur die Art in ihrer Einzigartigkeit unwiderruflich verloren, sondern es kann im Zweifel Auswirkungen auf das gesamte System haben. Die Taxonomie liefert somit wichtige Informationen und Daten zum Schutz der biologischen Vielfalt. Taxonomen werden aber auch bei der ökologischen Beurteilung von Biotopen im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen oder beim Monitoring von geschützten Gebieten angefragt. Auch zur Bestimmung invasiver Arten, die Millionenschäden verursachen können, wird auf die Taxonomie zurückgegriffen.
Die Taxonomie bildet somit eine Grundlage für viele Wissenschaftsgebiete. Immer wichtiger werden die Fähigkeiten und Kenntnisse von Taxonomen aber auch außerhalb der Biologie. So greifen immer mehr Branchen der Wirtschaft auf das Wissen der Taxonomie zurück. Bereits heute existieren mehr und mehr Produkte auf Basis pflanzlicher oder tierischer Bestandteile. Allein in der chemischen Industrie betrug der Anteil nachwachsender Rohstoffe 2008 bereits 13 Prozent. Die Umstellung von einer erdölbasierenden hin zu einer Produktion auf Basis nachwachsender Rohstoffe wird diesen Trend weiter verstärken.
Wenn man sich die Liste der Anwendungsmöglichkeiten der Taxonomie anschaut, könnte man meinen, dieser Wissenschaftszweig müsste von Politik und Wirtschaft doch eigentlich in jedem möglichen Maße unterstützt werden. Aber nein, genau das Gegenteil ist in Deutschland der Fall. Die Taxonomie blutet hier langsam aus. So gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Taxonomie mehr. In der Wissenschaft fehlen somit Stellen für angehende Taxonomen. Ohne Berufs- und Ausbildungschancen bricht auch der wissenschaftliche Nachwuchs weg, und das in einer Situation, wo es bereits heute für bestimmte Tier- oder Pflanzenarten weltweit nur noch eine Expertin oder einen Experten gibt. Wenn der oder diese stirbt, dann geht mit dieser Person unwiderruflich das gesamte nicht niedergeschriebene Wissen und vor allem viel Erfahrung über diese Art verloren. Können und wollen wir uns das in unserer „Wissensgesellschaft“ wirklich leisten? Ich denke, nein! Insbesondere, wenn man bedenkt, welche Herausforderungen im Bereich der Biodiversität, des Klimawandels, aber auch der Energie und Medizin noch vor uns liegen.
Ende 2010 hat sich eine Arbeitsgruppe von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die „Jungen Systematiker“, mit einem offenen Brief an Politik, Wissenschaft und Gesellschaft gewandt. Dabei fordern sie, unter anderem das Ausbildungs- und Forschungsfach Taxonomie gezielt wiederzubeleben, langfristige Perspektiven für Taxonomen zum Beispiel durch unbefristete Stellen im universitären Mittelbau zu schaffen, ein spezielles Forschungsprogramm zur Förderung der Taxonomie einzurichten und für eine bessere finanzielle Unterstützung der naturhistorischen Museen und Botanischen Gärten zu sorgen. Als SPD-Bundestagsfraktion teilen wir diese Forderungen voll und ganz. Sie finden sich auch in unserem Antrag wieder.
Wenn man sich die Reden zur ersten Lesung unseres Antrages vom November 2010 zu Gemüte führt, hat man den Eindruck, dass selbst die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP unseren Analysen und Forderungen zustimmen können. So stellt Frau Klamt von der CDU/CSU zum Beispiel den positiven Beitrag der Taxonomie für die Biodiversität heraus. Und Frau Brunkhorst von der FDP verweist auf den Nachwuchsmangel im Bereich der Taxonomie in Deutschland. Umso unverständlicher ist mir, warum die Fraktionen von CDU/CSU und FDP im Ausschuss gegen unseren Antrag votiert haben. Und bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, dass die Taxonomie nur ein Wissenschaftsbereich von vielen sei, der sich mit dem Artenschwund und der
Biodiversität auseinandersetzt. Denn erstens benötigen wir, wie oben beschrieben, die Taxonomie eben nicht nur zum Schutz der Biodiversität, und zweitens stellt die Taxonomie ja gerade die Grundlage für die Biodiversitätsforschung dar. Oder wie wollen Sie ein Gebiet schützen, wenn niemand bestimmen kann, welche Arten dort überhaupt leben? Entschuldigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, aber Ihr Argument ist so absurd, wie wenn Sie einem Bauarbeiter sagen, ein Fundament sei für den Hausbau unwichtig!
Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich könnte ja noch nachvollziehen, dass es Ihnen einfach schwerfällt, einem guten Antrag einer Oppositionsfraktion zuzustimmen. Aber wenn dem so wäre, warum haben Sie dann nicht einfach einen eigenen Antrag verfasst? Genug Zeit hatten Sie dafür seit Oktober 2010, dem Zeitpunkt der Einbringung unseres Antrages, nun wirklich. Mit der Presseberichterstattung, unter anderem auch zur ersten Lesung unseres Antrages, müsste doch selbst Ihnen aufgefallen sein, dass die Situation der Taxonomie auch über die Grenzen der Biologie als Problem wahrgenommen wird. Außerdem haben Sie hoffentlich doch auch Gespräche mit betroffenen Taxonomen geführt. Wieso verschließen Sie sich deren Argumenten? Nichts zu tun ist in so einem Fall doch keine Option.
Insofern: Springen Sie zum Schutz der Biodiversität und der Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungssitua-tion von Taxonomen in Deutschland über Ihren Schatten, und stimmen Sie unserem Antrag zu.