Mehrkosten de ITER-Projekts
Rede zu Protokoll des SPD-Bundestagsabgeordneten René Röspel am 01. Dezember 2011 zum GRÜNEN-Antrag „Moratorium jetzt – Dringliche Klärung von Fragen zu Mehrkosten des ITER-Projekts“; Deutscher Bundestag, 146. Sitzung, TOP 24
René Röspel (SPD):
Die Debatte um ITER hat sich im Deutschen Bundestag, wie es die Kollegin Petra Sitte einmal ausdrückte, zu einem wahren „Dauerbrenner“ etabliert. In regelmäßigen Abständen diskutieren wir in diesem Hause die Themen Fusionsforschung, ITER und seit kurzem auch vermehrt Euratom.
Bei ITER handelt es sich um ein gemeinsames Projekt von EU, Japan, Russland, USA, China, Indien und Südkorea zum Bau und Unterhalt eines Fusionsforschungsreaktors. In diesem Reaktor sollen die Mechanismen, die die Sonne aus menschlicher Sicht zu einer unerschöpflichen Energiequelle machen, mit einem Fusionsreaktor auf die Erde geholt werden. Nach aktuellem Stand werden die Baukosten für ITER auf über 15 Milliarden Euro geschätzt, was eine Verdreifachung der ursprünglichen Kosten bedeutet. Ein Teil der Mehrkosten ist durch Inflation und steigende Rohstoffpreise bedingt. Weitere Gründe für die Kostensteigerungen sind neue Erkenntnisse, insbesondere zur Steigerung der Sicherheit des ITER sowie offenbar Missmanagement. Für die EU bedeutet dies einen Kostenanstieg auf circa 7,2 Milliarden Euro, im Vergleich zu den 2,7 Milliarden Euro, die bei Vertragsunterzeichnung vereinbart waren; ein Betrag, der auf 6,6 Milliarden Euro gedeckelt werden soll.
Heute diskutieren wir den hier vorliegenden Antrag der Grünen bereits zum zweiten Mal. Seit der ersten Lesung im Juni hat sich leider an der finanziellen Problematik bei ITER wenig geändert. Die bisherigen Treffen zwischen den Vertretern des Rates und des Europäischen Parlaments sind ohne Erfolg verlaufen.
Der aktuell von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Finanzkompromiss für die Jahre 2011 bis 2013 ist bisher noch strittig. Das Europäische Parlament vertritt die Position, dass der europäische Forschungshaushalt (Rubrik 1 a) nicht noch stärker für ITER belastet werden darf. Diese Meinung teilen wir als SPD-Bundestagsfraktion. Neben dem Europäischen Parlament haben aber auch im Europäischen Rat mehrere Länder ihren Unmut über den Vorschlag geäußert. Am heutigen 1. Dezember tagt der sogenannte Trilog erneut zu dem Kompromiss. Ergebnisse sind mir bisher noch nicht bekannt. Es bleibt also weiterhin unklar, wie die fehlende Summe von 1,2 Milliarden Euro für die nächsten Jahre gegenfinanziert werden soll.
Wir haben diese Problematik im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung immer wieder gemeinsam diskutiert. Wichtig war für uns Sozialdemokraten dabei die klare Aussage der Bundesregierung, dass die Obergrenze der Gesamtkosten von 6,6 Milliarden Euro nicht überschritten werden darf. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in dieser Frage nicht einknickt.
Weniger vehement verteidigt diese Regierung aber das 7. Forschungsrahmenprogramm, FRP. Nach einem einstimmigen Ratsbeschluss können bis zu 660 Millionen Euro durch Umschichtung innerhalb der Rubrik 1 a, aus der das Forschungsrahmenprogramm finanziert wird, für ITER eingesetzt werden. In unserem Antrag „Für eine Stärkung der breit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung – Keine finanziellen Einschnitte beim Europäischen Forschungsrat zugunsten des Einzelprojekts ITER“ haben wir dafür eine rote Linie gezogen. Nicht gespart werden darf aus unserer Sicht zum Beispiel beim Europäischen Forschungsrat oder bei Programmen für erneuerbare Energien. Welche Projekte hingegen für diese Regierung unantastbar sind, darüber schweigt sie sich bisher leider aus.
Die finanzielle Problemlage wird in dem uns vorliegenden Antrag der Grünen ausführlich dargestellt. Diesen Teil der Analyse teilen wir Sozialdemokraten ausdrücklich. In meiner Rede vom 30. Juni bin ich auf diesen Teil des Antrages bereits intensiv eingegangen. Aber wie in meiner Rede ebenfalls dargestellt, sehen wir Sozialdemokraten das Mittel des Moratoriums in diesem Fall als ein untaugliches Instrument. Denn eine akute Gefahr für Leib und Leben besteht, anders als beim Atommoratorium, bei ITER nicht. Außerdem weiß jeder Häuslebauer, dass mit einer Bauunterbrechung leider kein Kostenstopp einhergeht. Verträge müssen vielmehr eingehalten und Gehälter weiter gezahlt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, aufgrund von Kostenexplosionen ein Instrument vorzuschlagen, das weitere Kosten verursacht, macht keinen Sinn. Ein Moratorium ist für ITER deshalb das falsche Mittel. Aber die gewünschte Diskussion haben Sie ja trotzdem erreicht. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch ein anderes Thema ansprechen. Denn bei den Debatten um die Fusionsforschung kommen immer wieder Behauptungen und Vergleiche auf, die ich so allerdings auch nicht stehen lassen möchte. Bei aller gerechtfertigten Kritik an dem Bau von ITER: Man darf Kernspaltung – gemeinhin Atomkraft genannt – und Kernfusion nicht in denselben Topf werfen. Zum Beispiel wäre eine Katastrophe wie in Fukushima oder Tschernobyl – nach heutigem Wissensstand – bei einem Fusionsreaktor nicht möglich. Zur Fusion benötigt man eine konstant enorm hohe Energiezugabe. Diesen Energiefluss lang genug zu halten ist bisher das technische Problem. Fällt diese Energiezuführung weg, zum Beispiel bei einem Unfall, bricht auch die Fusion ab. Denn anders als bei der Atomkraft ist bei der Fusionstechnologie eine unkontrollierte Kettenreaktion unmöglich.
Ich sehe deshalb nicht die von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, beschriebene gesellschaftliche Ablehnung – analog zur Atomkraft – bei der Fusionstechnologie. Wenn man mal nachfragt, wissen die meisten Menschen noch gar nicht, was sich genau hinter der Fusionstechnologie verbirgt. Das sollte sich ändern. Abgelehnt wird das ITER-Projekt bisher vorwiegend aufgrund finanzieller Erwägungen. Dies impliziert aber nicht eine grundlegende Ablehnung der Fusionstechnik.
Als SPD-Bundestagsfraktion sehen wir die Fusionsforschung als ein spannendes Feld der Grundlagenforschung. Für die notwendige Energiewende wird diese Technik aber definitiv zu spät kommen. Deshalb treten wir für eine Deckelung der Kosten und einen Ausbau der erneuerbaren Energien ein.