Aktionsplan Nanotechnologie 2015
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Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die
SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die Bundeskanzlerin einmal eine Regierungserklärung absagt, damit ich zu Nanotechnologie reden kann.
(Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das könnte man fast lustig finden, wenn das Ganze nicht so traurig wäre. Es zeugt von der dramatischen Situation, in der sich die Regierung befindet, dass das nötig wurde.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das kann man wohl sagen!)
Herr Hinsken, die Geschäftsordnung verlangt, dass wir jetzt nicht über die große Finanzproblematik reden, sondern über die kleinsten Teile, mit denen wir umgehen, über Nanotechnologie und den Aktionsplan der Bundesregierung. Das wollen wir dann auch tun.
Der Bundestag war in den letzten Tagen Ausrichter und Gastgeber einer Konferenz der Büros für Technikfolgenabschätzung in Europa. Einige von uns waren dabei. Ein geladener Gast aus dem österreichischen Umweltministerium hat im Zusammenhang mit Nanotechnologie gesagt, dass ein Aktionsplan einer Regierung sinnvoll sei, weil er eine Positionsbestimmung für diejenigen sei, die sich mit dem Thema befassen. Das ist richtig. Deswegen begrüßen wir, dass der Aktionsplan der Bundesregierung vorgelegt worden ist.
Die Erstellung des Berichts war eine Fleißarbeit; das ist schon angeklungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMBF sind durch die Labore gegangen und haben sich Anträge und Projekte angeschaut. Sie haben zusammenfassend aufgeführt, was alles mit Nanotechnologie möglich ist, welches Potenzial sie bietet, was geleistet werden kann: von der beweglichen Solarzelle über die „Bewältigung potenzieller Folgen bei Großunfällen“ bis zur „intelligenten Straße“. Nebenbei: Mir sind intelligente Autofahrer immer noch lieber. Diese Aufstellung zeigt aber in der Tat das große Spektrum und die Chancen auf, die die Nanotechnologie bietet. An der einen oder anderen Stelle wurde vielleicht ein bisschen zu viel unter Nanotechnologie eingeordnet, aber das sei verziehen. Das ist eine ausreichende und, wie ich finde, gute Bilanz.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung, weil in den politischen Debatten mitunter der Eindruck entsteht, als sei die Politik für diese tollen Forschungsprojekte, diese Ideen und Erfindungen verantwortlich. Das ist nicht der Fall. Man muss ganz klar sagen: Die Beispiele, die in solchen Berichten genannt werden, sind das Ergebnis der Arbeit der Forscherinnen und Forscher. An dieser Stelle ist es angebracht, die große Leistung der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu loben und anzuerkennen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie werden mir nachsehen, dass ich an diesem Aktionsplan nicht viel zu mäkeln habe. Das ist einfach so.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP])
Ich finde, darin steht viel Richtiges. Auch die aufgezeigten Wege sind sicherlich richtig. Da gibt es wenig zu mäkeln. Wenn man den Aktionsplan unter dem Gesichtspunkt einer Positionsbeschreibung, wie der österreichische Wissenschaftler das formuliert hat, bewertet, dann stellt man allerdings fest, dass ein paar Fragen offenbleiben. Zur Kennzeichnung haben wir bereits einiges gehört. Den Bereich Produktregister zum Beispiel finde ich durchaus ausbaufähig.
Der Aktionsplan, über den wir heute beraten, ist ein paar Monate alt. Er ist Anfang des Jahres veröffentlicht worden. Ich finde es spannend, dass wir in diesem Zusammenhang auch über einen Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt weiterentwickeln“ beraten. Ich habe gedacht, wenn es einen Antrag gibt, mit dem das Ziel verfolgt wird, den Aktionsplan der Bundesregierung weiterzuentwickeln, dann enthält er vielleicht Antworten auf die offenen Fragen im Aktionsplan, oder wir finden darin etwas Neues. Erstaunlicherweise finde ich in diesem Antrag überhaupt nichts Neues, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen. Das ist eine Verbeugung vor der Regierung; mit dieser Feststellung können Sie umgehen. Das ist eine Inhaltsangabe des „Aktionsplans Nanotechnologie 2015“. Ich habe gehofft, dass Sie wenigstens eine Schwerpunktsetzung vornehmen, aber nicht einmal das ist der Fall. Diesen umfangreichen Antrag hätten Sie sich sparen können; denn er gibt nur das wieder, was bereits im Aktionsplan steht.
Ich möchte die längere Redezeit, die mir zur Verfügung steht, weil die Debattenzeit verlängert wurde, nutzen, um ein paar Ihrer revolutionären Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag mutig an die Regierung richten, aufzugreifen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Stärkung der Nanotechnologie im Rahmen des nationalen Aktionsplans … weiter voranzutreiben.
Alle Achtung! Die Bundesregierung hat jetzt also den Auftrag, ihren Plan weiter voranzutreiben. Die Bundesregierung wird weiter aufgefordert, eine „geeignete Definition des Begriffs Nanotechnologie zu erreichen“. Das ist ein wichtiger Punkt. Dies wurde aber schon längst gefordert. Sie, Herr Staatsekretär, haben deutlich gemacht, dass die Europäische Kommission bereits eine Definition des Begriffs „Nanotechnologie“ vorgelegt hat. Interessanterweise haben aber gestern diejenigen, die sich mit Technikfolgenabschätzung befassen, deutlich gemacht – dies entspricht nicht Ihrer Einschätzung –, dass die von der Kommission vorgelegte Definition für mehr Verwirrung als für Klarheit sorgt.
Sie fordern die Bundesregierung des Weiteren auf – das ist sehr mutig –, die „gezielte KMU-Förderung im Bereich Nanotechnologie fortzusetzen und weiter zu stärken“. Ich habe im Aktionsplan nicht gelesen, dass die KMU-Förderung beendet werden soll. Warum fordern Sie dann in Ihrem Antrag ihre Fortsetzung? Ich gehe davon aus, dass wir gleich noch etwas dazu hören werden.
Im Antrag wird die Bundesregierung ebenfalls aufgefordert, „Ressourcen für die Risikoforschung bereitzustellen“. Das finde ich gut, aber auch das ist im Aktionsplan enthalten.
An einer Stelle habe ich tatsächlich etwas Neues entdeckt, das Sie leider nicht weiter ausführen. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Fördermittel ausreichend sein müssen, „um die derzeit offenen Felder Umweltverhalten, Lebenszyklusanalysen und Langzeituntersuchungen abzudecken“. Einverstanden, das ist ein wichtiger Punkt und im Vergleich zum Aktionsplan etwas Neues. Aber das ist nur ein Punkt Ihres sieben Seiten umfassenden Antrags.
Sie haben die Chance verpasst, sich zu positionieren. Sie geben wieder, was der „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“ schon enthält. Ihr Antrag ist eigentlich überflüssig. Ich bin gespannt, wie uns der Vertreter der Koalitionsfraktionen gleich erklären wird, warum dieser Antrag nötig ist und uns in der Debatte weiterbringt.
Ich möchte eine Stelle aus dem Antrag zitieren, die ich ausdrücklich gut finde, weil sie zeigt, dass wir in der Diskussion insgesamt weitergekommen sind. Auf Seite 3 heißt es:
Es kann festgestellt werden, dass Deutschland hinsichtlich Forschungs- und Innovationsförderung, Begleitforschung und vielfältiger Dialogaktivitäten unter Einbeziehung aller Vertreter aus Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft schon heute eine weltweit führende Rolle bei der Entwicklung der Nanotechnologie als sicherer und nachhaltiger Zukunftstechnologie einnimmt.
Das stimmt; dies ist ausdrücklich zu unterstützen. Aber, liebe Koalitionskollegen, dies ist leider nicht Ihr Verdienst. Es ist richtig, dass die Nanotechnologie zu Beginn der 90er-Jahre, also auch unter ihrer damaligen Regierungskoalition, gefördert worden ist. Aber die Diskussion über wichtige Themen wie Sicherheit, Akzeptanz und Transparenz wurde nicht von Ihnen vorangetrieben. Wenn ich mich nicht falsch erinnere, waren es im Wesentlichen die Kollegen Ulla Burchardt und Hans-Josef Fell,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die damals darauf gedrängt haben, dass wir die Diskussion über die Chancen und die Risiken der Nanotechnologie führen. Das hat dazu geführt, dass das Büro für Technikfolgenabschätzung schon im Jahre 2003 einen ausführlichen Bericht dazu verfasst hat. In der Nachfolge haben wir dazu Veranstaltungen durchgeführt, um zu zeigen, dass diese Technologie große Chancen bietet, dass man aber auch rechtzeitig auf mögliche Sicherheitsprobleme achten muss.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Vorwurf, wir seien technologiefeindlich und überbetonten die Risiken. Ich freue mich, dass Sie dazugelernt haben und wir jetzt gemeinsam die Chancen und die Risiken betrachten können. Das ist ein guter Weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie in den TAB-Bericht aus dem Jahr 2003 geschaut hätten, hätten Sie Punkte finden können, die Ihr Antrag nicht enthält. Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, Sie hätten besser recherchieren können. Dass Sie das nicht getan haben, mag vielleicht daran liegen, dass nicht mehr allzu viele Ihrer damaligen Kollegen Mitglieder des Parlaments sind. Aber es ist erst zwei Jahre her, dass die damalige Große Koalition einen Antrag zur Nanotechnologie mit dem Titel „Nanotechnologie – Gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder“ vorgelegt hat. Diesen haben wir im Juli 2009 beschlossen. Es war ein Antrag der Großen Koalition, den die SPD-Fraktion und die Unionsfraktion – Herr Kretschmer, Sie waren dabei – gemeinsam eingebracht haben. Lassen Sie mich ein paar der damaligen Forderungen, die inzwischen Beschlusslage des Deutschen Bundestages sind, vortragen. Dort steht zum Beispiel:
Dabei sollten auch gesellschaftliche Bedarfsfelder wie die Nutzung der Nanotechnologie in den Bereichen sauberes Wasser und Energieeffizienz/Klimaschutz in die Technologieförderung einbezogen werden …
Das steht auch im Aktionsplan. Diese Forderung unseres gemeinsamen Antrags wurde erfüllt.
Vor rund zwei Jahren wurde auch gefordert, Start-up-Unternehmen mit genügend Risikokapital auszustatten. Dazu steht eine Menge im Aktionsplan; das können wir auch abhaken. Des Weiteren wurde gefordert, „Chancen und Risiken der Nanotechnologie noch stärker in der Gesellschaft zu kommunizieren“. Auch darauf wird im Aktionsplan eingegangen. Aber damals wurde auch gefordert – das hätten Sie als neuen Punkt in Ihren Antrag aufnehmen können –, eine Informationsplattform zu schaffen, die die Bürger über Vorschriften, Bestimmungen und Empfehlungen informiert und die laufend aktualisiert wird.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Das haben wir doch!)
Das taucht zwar irgendwo im Aktionsplan auf, ist aber noch immer nicht umgesetzt, obwohl zwei Jahre Zeit war.
(Beifall bei der SPD)
Eine weitere wichtige von uns damals erhobene Forderung, die bereits Beschlusslage des Deutschen Bundestages ist und aus meiner Sicht bisher von der Bundesregierung nicht erfüllt wurde und in Ihrem vorliegenden Antrag nicht aufgegriffen wird, ist, „zu prüfen, wie eine sachgerechte Entsorgung von synthetischen Nanomaterialien sichergestellt werden kann, ohne dass gefährliche Nanopartikel in die Umwelt gelangen“. Das ist keine Kleinigkeit, sondern ein zentraler Punkt.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Diese Partikel sind relativ unproblematisch, solange sie an Oberflächen gebunden sind und nicht freigesetzt werden können. Wenn aber zum Beispiel ein beschichteter Anorak einfach verbrannt wird oder auf andere Weise nicht sachgerecht entsorgt wird, werden diese Partikel möglicherweise freigesetzt und verursachen eventuell Umweltprobleme oder gesundheitliche Schäden, wenn sie in die Lunge gelangen. Unsere damalige Forderung nach einer sachgerechten Entsorgung ist daher von zentraler Bedeutung und hätte von Ihnen in Ihrem Antrag aufgegriffen werden müssen. Wir erwarten nach wie vor von der Bundesregierung, in diesem Bereich aktiv zu werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben damals zu Recht auch bessere Messverfahren und Messtechniken zur Identifizierung von Nanomaterialien in Wasser, Boden und Luft gefordert. Es lassen sich entsprechende Passagen im Aktionsplan finden, aber nicht in Ihrem Antrag. Die meisten von Ihnen kennen vermutlich die jüngsten Studien – zum Beispiel die der Universität Landau –, die zeigen, dass die bisher angewandten Standardverfahren offenbar nicht tragfähig sind. Danach verhalten sich Wasserflöhe, die für 48 Stunden mit Titandioxidnanopartikeln in Kontakt gebracht wurden, einigermaßen normal. Verdoppelt man aber die Standardzeit auf 96 Stunden, stirbt eine große Zahl der Tiere. Allein durch die Veränderung des Beobachtungszeitraums kommt man zu anderen Ergebnissen. Das heißt, wir müssen die Messverfahren entsprechend anpassen. In der gestrigen Expertendiskussion wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass in vielen Bereichen der Nanotechnologie zwar kein Risiko besteht, wohl aber Unsicherheit herrscht und dass sämtliche Testverfahren im Labor und nicht in der Umwelt durchgeführt werden.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Das ist ein großes Manko. Wir erwarten, dass das geändert wird.
Herr Rachel, ein Punkt, den Sie als positives Beispiel hervorgehoben haben, ist die Risikoforschung. Wir haben bereits 2009 eine solche Forschung gefordert. Ich erinnere mich noch gut an die damalige Diskussion und die Auseinandersetzungen in der Großen Koalition. Wir haben Sie immer getrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass eine Begleit- und Risikoforschung dazugehört.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben es damals nach großen Kämpfen geschafft, dass in unserem gemeinsamen Antrag gefordert wurde – das fordert auch die NanoKommission –, mindestens 10 Prozent der Mittel für die Risikoforschung zur Verfügung zu stellen. Die 14 Millionen Euro, die Sie erwähnten, Herr Staatssekretär, machen gerade einmal 6,2 Prozent aus.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Mehr als andere Länder!)
Das sind die Zahlen, die ich der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage meiner Fraktion zur Nanotechnologie entnehme. 6,2 Prozent für die Sicherheitsforschung sind deutlich zu wenig. Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der gesamte Verbraucherschutz ist in Ihrem Antrag völlig unterbelichtet. Ich finde es schade, dass Sie Ihren Antrag vor der Anhörung eingebracht haben. Am kommenden Montag gibt es im Verbraucherausschuss eine Anhörung zu Nanoprodukten und ihren möglichen Auswirkungen im Umweltbereich. Es liegt bereits eine Reihe kluger Fragen und Stellungnahmen vor. Wenn Sie ein bisschen länger gewartet hätten, hätten Sie die Aussagen der Stellungnahmen berücksichtigen können und vielleicht nicht einen so substanzlosen Antrag vorgelegt. Ich verweise auf die Stellungnahme des ehemaligen Vorsitzenden der NanoKommission, die aus Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Umweltverbände zusammengesetzt war. Diese haben sich ihre Empfehlungen sehr genau überlegt. Wenn Sie diese berücksichtigt hätten, hätte das Ihrem Antrag sehr gutgetan.
Wir werden weiterhin mit allem Optimismus, aber auch mit der nötigen Kritik die Nanotechnologie und vor allen Dingen Ihre Regierung begleiten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)