Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun René Röspel für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute finde ich es ausnahmsweise nicht schade, erkältet zu sein, weil ich dadurch diese Mischung aus Pulverdampf und Weihrauch, die in dieser Debatte entstanden ist, nicht riechen kann.
(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich muss zugeben, wir gönnen Ihnen ein bisschen Selbstbeweihräucherung, weil wir es gut finden – es ist ja ein gemeinsames Ziel –, dass Sie mehr Mittel in Bildung und Forschung gesteckt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber wenn wir als Opposition die Souveränität besitzen, Sie dafür zu loben, dann sollten Sie die Größe haben, die ganze Geschichte der Bildungs- und Forschungspolitik der letzten Jahre zu erzählen,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sonst entsteht bei den Menschen, die uns zuhören, vielleicht ein falscher Eindruck.
Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernommen hat, war der Etat von Bildung und Forschung zu vergleichen mit einem abgehalfterten alten Gaul, der in der dunkelsten Ecke des Kabinetts stand und dessen Rippen man zählen konnte. Es war eine sozialdemokratische Bildungsministerin, die dieses Pferd gefüttert und gepflegt hat, die mehr in Bildung und Forschung investiert hat. Mittlerweile dürfen Sie auf einem Rennpferd reiten und sich auf den Weg zu neuen Erfolgen machen. Das ist nicht nur Ihr Verdienst, sondern auch ein Verdienst der Großen Koalition und vor allen Dingen ein Verdienst der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Geschichtsklitterung!)
Wir haben diese Grundlagen geschaffen. Ein Raketenstart ist in der ersten Phase immer am schwierigsten, da braucht man die meiste Kraft und den meisten Aufwand, und am Ende kann man den Erfolg feiern.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
– Ja, das ist Ballistik; darüber reden wir vielleicht ein anderes Mal.
(Beifall bei der SPD – Heinz-Peter Haustein [FDP]: Schlaumeier!)
– Danke für das Kompliment.
Wir haben in diesen Tagen „Empfehlungen zur Bewertung und Steuerung von Forschungsleistungen“ des
Wissenschaftsrates auf den Tisch bekommen. Am Anfang dachte ich, es sei Zufall, dass wir diese Empfehlungen zu dieser Zeit bekommen haben. Aber dieses Papier enthält eine ganze Menge guter Ratschläge, wie man Forschungsleistungen steuern kann.
Einen Aspekt fand ich besonders interessant: eine Warnung vor „Tonnenideologie“ – das ist ein wörtliches Zitat –, also eine Warnung vor dem Glauben, dass man über einen Zuwachs an Quantität quasi einen Zuwachs an Leistung oder sogar Qualität erzielt. Das ist ein großer Irrtum; da muss man vorsichtig sein.
Bei einigen Reden der Koalitionäre vorhin ist mir klar geworden, warum wir diese Empfehlung des Wissenschaftsrates zu dieser Zeit bekommen haben. Ich weiß nicht, welchen Eindruck die Zuschauerinnen und Zuschauer mit nach Hause nehmen, wenn sie hören, dass wir hier 300 Millionen Euro und da 5 Millionen Euro investieren. Das alles sind große Zahlen, sie bedeuten gute Zuwächse. Aber die Frage ist: Was wird bleiben, und in welche Richtung geht es? Ich muss Ihrem ehemaligen Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl wirklich recht geben: Diese Regierung hat keinen Kompass und keinen Plan. Wenn Sie ihn hätten, hätten Sie gesagt, wohin die Reise gehen soll und wie es weitergehen soll. Aber diese Regierung hat, wie gesagt, keinen Kompass. Ich hoffe, dass Sie vielleicht unter dem Weihnachtsbaum einen finden werden.
(Beifall bei der SPD)
Aber auch das ist nichts Neues. In vielen Bereichen drehen Sie Pirouetten, wie es Ihnen gerade gefällt. Jahrelang waren Sie gegen einen Mindestlohn; jetzt versuchen Sie, etwas in dieser Richtung auf den Weg zu bringen.
Ähnliches gilt für den Bildungs- und Forschungsbereich. Jahrelang leisteten Sie erbitterte Widerstände gegen Ganztagsschulen, Herr Rehberg. Als die rot-grüne Regierung 2003 den Betrag von 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, um in den Kommunen Ganztagsschulen auszubauen, weil sie dringend gebraucht wurden, haben wir das gegen die erbitterten Widerstände Ihrer beiden Fraktionen machen müssen; in den Protokollen des Bundestages können Sie nachlesen, dass damals von „Verwahranstalt“ und „Einheitsschule“ die Rede war. Wenn die Mittel schlecht abgeflossen sind – wir haben das ja genau beobachtet –, dann lag das nicht an Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, sondern an Hessen und Ministerpräsident Koch, der erbitterten Widerstand gegen die Ganztagsschule geleistet hat. Das war ein Fehler.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zur Zukunft!)
Heute freuen wir uns, dass Sie die nächste Pirouette drehen. Sie haben nämlich in Ihrem bildungspolitischen Antrag das Ziel formuliert, Ganztagsschulen zu fördern.
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Schauen Sie mal nach vorne! Alles Veteranengeschichten!)
Wir warten auf eine entsprechende Initiative zur Änderung des Grundgesetzes. Dann kann auch der Bund wieder einen Beitrag leisten, wie es unter Rot-Grün der Fall war.
Der nächste Punkt: das BAföG. Ja, wir sind Freunde des BAföG. Ich habe allerdings noch Presseausschnitte aus dem Jahr 2005 zu Hause, Frau Schavan,
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Noch mehr Veteranengeschichten!)
die belegen, dass Sie damals sagten: Der Union ist nicht am BAföG gelegen. Aber wir werden es aufrechterhalten, weil sich die SPD dafür einsetzt, dass es erhalten bleibt. – Sie können uns also nicht vorwerfen, dass die Zuwächse zur Zeit der Großen Koalition nur klein waren. Ich habe diese Zeitungsausschnitte, wie gesagt, zu Hause, Frau Schavan. Das fand ich nämlich sehr spannend.
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Jetzt aber mal nach vorne schauen!)
Diese Pirouetten – die Hauptschule wollt ihr ja auch abschaffen; aber das ist okay – drehen Sie leider nicht aus innerer Überzeugung, sondern weil Sie, wie ich glaube, einen bitteren Überlebenskampf führen
(Beifall bei der SPD)
und auf das, was Tag für Tag passiert, reagieren müssen. Nun zum Forschungsbereich. Jahrelang haben Sie sich für die Atomenergie eingesetzt und es den erneuerbaren Energien an allen Ecken und Enden schwer gemacht. Es mussten erst Fukushima und die Proteste in der Bevölkerung kommen, bis Sie sich gezwungen fühlten, eine Energiewende einzuleiten.
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sie reden unter Ihrem Niveau!)
Das war richtig. Wir freuen uns – Frau Kollegin Kotting-Uhl hat das ausgeführt –, dass es im Haushaltsansatz für diesen Bereich mehr Mittel zu geben scheint. Wenn man genau hinsieht, stellt man aber fest: Es gibt da eine kleine Fußnote. Es heißt nämlich immer: unter Berücksichtigung der Umsetzung dieser Mittel in den Energie und Klimafonds. Das ist eine interessante Verschiebung.
Was ist der Energie- und Klimafonds? Er ist der beste Inbegriff für heiße Luft.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
In den Energie- und Klimafonds wandern nämlich die Erträge aus dem Emissionshandel, aus dem Handel mit Kohlendioxidzertifikaten. Wir wissen überhaupt noch nicht, wie hoch die Erträge, die hier anfallen, sein werden. Sie aber wollen mit diesem Etat, der unsicher und konjunkturabhängig ist – außerdem wissen wir nicht, wie sich der Wert der Zertifikate entwickelt –, erneuerbare Energien, Elektromobilität und vieles andere mehr finanzieren. Dieser Etat ist also überzeichnet. Das ist
keine seriöse Haushaltspolitik.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wissen, dass wir als Opposition nicht die großen, langen Linien Ihres Haushaltsentwurfes verändern können. Aber an der einen oder anderen Stelle kann Forschungspolitik, wie ich finde, auch Impulse setzen. Ich will fünf Beispiele anführen, die wir als SPD-Fraktion benannt haben, weil sie unserer Meinung nach richtige Impulse für die Forschungspolitik setzen.
Das erste Beispiel – als wäre es bestellt gewesen –:
Einige von uns haben gestern mit Wissenschaftlern und Abgeordneten aus Peru zusammengesessen, weil diese Interesse daran haben, zu lernen, wie Wissenschaft in Deutschland funktioniert. Einer der Professoren hat deutlich gemacht, über welch reichhaltige Naturschätze Peru verfügt, und darauf hingewiesen, wie wichtig Biodiversität ist. Es wird nur möglich sein, diese Naturschätze kennenzulernen und einzuordnen, wenn es Menschen gibt, die Arten bestimmen können. Dieses Fach, die Taxonomie, mag für Sie eine Nische sein. Aber: Vor zehn Jahren haben wir auch noch geglaubt, dass Elektrochemie eine Nische ist, und dieses Fachgebiet vernachlässigt. Heute zeitigt diese Entscheidung dramatische Folgen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass nur 5 Millionen Euro mehr für die Artenkundeforschung eingestellt werden. Das haben Sie leider abgelehnt.
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ihre Redezeit dürfte aber langsam abgelaufen sein!)
Das zweite Beispiel. Wir meinen, dass es an der Zeit ist, Verbraucherforschung zu betreiben und die entsprechenden Informationen aufzuarbeiten. Dafür haben wir nur 5 Millionen Euro verlangt. Die Koalition hat dies abgelehnt.
Das dritte Beispiel. Wir wissen seit dem letzten Tierschutzbericht, dass die Zahl der Tierversuche in Deutschland zunimmt. Wir wollten, dass nur 4 Millionen Euro für die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen bereitgestellt werden. Sie haben das abgelehnt.
Viertes Beispiel. Den Bereich Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktivitätsforschung – ein für Deutschland sehr wichtiger Bereich – streichen Sie gerade zusammen. In einem Brandbrief hat die DGBVizevorsitzende, Ihre Unionskollegin Frau Sehrbrock, gefordert, das nicht zu tun und in diesen Bereich, in eine der großen Chancen Deutschlands, mehr zu investieren.
(Beifall bei der SPD)
Mein letztes Beispiel ist die Friedens- und Konfliktforschung. Wer begreift, wie wichtig es in dieser Welt ist, Konflikte von vornherein zu erkennen, zu beseitigen und eine entsprechende Forschung zu betreiben, der muss in diese Forschung investieren. Wir haben beantragt, nur 5 Millionen Euro bereitzustellen, um das Stiftungskapital zu erhöhen. Sie haben das wieder abgelehnt.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
René Röspel (SPD):
Ich komme zum Schluss. – 13 000 Millionen Euro beträgt dieser Haushalt, aber 5 Millionen Euro für Friedens- und Konfliktforschung sind Ihnen zu viel. Das kann keine finanziellen, sondern nur politische Gründe haben. Deutschland braucht keine Tonnenideologie, sondern eine Forschung, die für die Menschen in diesem Land da ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Das sehen wir auch so! – Gegenruf des Abg. René Röspel [SPD]: Dann macht es auch so!)