Für eine eng begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren!
Uns wurden bisher zwei Gesetzentwürfe vorgestellt. Die ihnen
zugrunde liegenden Positionen sind, glaube ich, jede für sich sehr gut
begründbar und nachvollziehbar. Diese Positionen stellen in dieser
Debatte aber auch zwei unterschiedliche, ja gegensätzliche Pole dar.
Wenn Sie es mir erlauben, möchte ich hinzufügen: Diese beiden Positionen
spiegeln das Dilemma wider, in dem ich mich seit vielen Jahren bewege.
Auf der einen Seite kann ich die Sorgen, die
Nöte, die Ängste und das Leid derjenigen sehr gut verstehen, die bereits
ein Kind wegen einer Behinderung oder einer schweren Erkrankung
verloren haben. Ich kann auch verstehen, wenn diejenigen, die all ihre
Kraft und Liebe für das Leben mit einem behinderten Kind aufbringen
müssen und wollen, sagen: Wir haben keine Kraft für ein zweites Kind mit
einer Behinderung, aber wir wünschen uns, noch ein gesundes Kind zu
bekommen. Wie viele andere habe auch ich lange mit mir gerungen, welche
Lösung wir diesen Menschen anbieten können. Das individuelle Leid ist
nachvollziehbar.
Dieses Thema haben wir im Rahmen einer Enquete-Kommission bereits vor einem Jahrzehnt behandelt. Wir haben überlegt, wie wir Menschen mit bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen oder Erbkrankheiten helfen können, ohne Grenzen zu überschreiten. Wir haben damals Betroffene gefragt. Einige haben gesagt: Ja, wir haben eine schwerwiegende Erbkrankheit oder Krankheit, aber das ist für uns kein Grund, die Präimplantationsdiagnostik zuzulassen. Vielleicht ist das eine der zentralen Fragen: Aus wessen Sicht ist eine Erkrankung schwerwiegend? Aus der Sicht des Betroffenen, der mit dieser Krankheit zurechtkommen muss, oder aus Sicht desjenigen bzw. derjenigen, der bzw. die mit einem Betroffenen leben wird? Diese unterschiedlichen Sichtweisen führen zu einer großen Differenz bei der Beurteilung der Frage, was schwerwiegend ist.
Ich finde nicht, dass der Gesetzentwurf von Frau Flach und weiteren Kolleginnen und Kollegen eine Lösung des Problems darstellt. Auch die Enquete-Kommission hat dieses Problem nicht lösen können. Ich glaube, dass die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in individuellen, nachvollziehbaren Fällen insgesamt zu einer Ausweitung des Kataloges der Fälle führen wird, in denen eine Anwendung erlaubt ist. Ich glaube, dass das zu einer Grenzüberschreitung führen wird und ich verstehe auch nicht, warum in § 3 a Abs. 2 Satz 2 des Gesetzentwurfs der Gruppe Flach eine quantitative Ausweitung vorgesehen ist. Demzufolge wollen Sie ohne jede Vorbedingung eine Präimplantationsdiagnostik bei dem Verdacht zulassen, dass eine Schädigung zu einer Fehl- oder Totgeburt führen kann. Diese Regelung würde dazu führen, dass künftig bei jeder künstlichen Befruchtung die PID anwendbar wäre. Allein deshalb halte ich Ihren Entwurf für ethisch nicht vertretbar.
Auf der anderen Seite bedeutet ein komplettes
Verbot der Präimplantationsdiagnostik, dass Menschen, bei denen aufgrund
ihrer Veranlagung ein höheres Risiko besteht, eine Fehl- oder Totgeburt
zu erleiden, keine Lösung angeboten werden kann. Insbesondere diese
Gruppe haben wir bei unserem Gesetzentwurf im Blick. Wir vertreten keine
mittlere Position. Vielleicht ist das eher eine vermittelnde Position
zwischen den beiden anderen Entwürfen. Uns geht es darum, dass Frauen,
die aufgrund ihrer genetischen Veranlagung ein höheres Risiko einer
Fehl- oder Totgeburt in sich tragen, weil der Embryo mit hoher
Wahrscheinlichkeit geschädigt ist, die Möglichkeit erhalten, ein
lebensfähiges Kind auszutragen. Wir stellen nicht die Frage, ob ein
Leben gelebt werden darf, sondern wir stellen die Frage, ob ein Leben
gelebt werden kann. Nur in diesen und in keinen anderen Fällen wollen
wir die Möglichkeit schaffen, dass der Frau nicht der Embryo
eingepflanzt wird, in dem unwiderruflich festgelegt ist, dass er nicht
lebensfähig ist. Wir wollen, dass der Embryo ausgesucht werden kann, der
eine Überlebenschance hat. Das bedeutet, dass nicht entschieden wird
über die Frage ?Lebenswert oder lebensunwert?“, sondern wir stellen die
Frage der Lebensfähigkeit ins Zentrum.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen mit unserem Entwurf Menschen, die von Natur aus keine hohe Wahrscheinlichkeit haben, einen lebensfähigen Embryo zu bekommen, in die Lage versetzen, Eltern zu werden. Ich finde, das ist ethisch rechtfertigbar. Das ist eine begrenzte Anwendung der Präimplantationsdiagnostik, die wir als zulässig ansehen.
Herzlichen Dank.