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Kernfusion nicht auf Kosten regenerativer Energiequellen finanzieren

16.12.2010

Zu Protokoll gegebene Rede zum Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD „Für eine Stärkung der breit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung – Keine finanziellen Einschnitte beim Europäischen Forschungsrat zu Gunsten des Einzelprojekts ITER“ am 16. Dezember 2010 (TOP 23)

René Röspel (SPD):
Letzte Woche waren wir auf Ausschussdelegationsreise in Brüssel. Gemeinsam haben wir mit Experten der Ständigen Vertretung, des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates, der deutschen Forschungsorganisationen und der Wirtschaft über die europäische Forschungspolitik gesprochen. Das waren zwei sehr intensive und hoch spannende Tage, für deren Organisation ich mich hier noch einmal ganz ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ständigen Vertretung und des Deutschen Bundestages bedanken möchte.
Ich glaube, keiner der Delegationsteilnehmerinnen und -teilnehmer widerspricht, wenn ich zusammenfassend sage, dass alle Vertreter eine europäische Forschungsinstitution am meisten gelobt haben: den Europäischen Forschungsrat – ERC. Dieses seit 2007 auf der europäischen Ebene neue Instrument ist Bestandteil des 7. Forschungsrahmenprogramms – FRP. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft – DFG – hat dabei in Bezug auf Arbeitsweise und Strukturen Pate gestanden. Wie bei der DFG fördert der ERC einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachrichtungen der Grundlagenforschung. Die Umsetzung des Bottom-up-Prinzips, Projekte werden dabei von der Basis her von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelt und allein nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten bewertet, ist hierbei ein Kernelement der Förderung. Eine Steuerung „von oben“ etwa seitens der EU-Kommission soll nicht stattfinden. Dies ist für die europäische Forschungsförderung ein neues Prinzip.
Für den Zeitraum 2007 bis 2013 stehen für den ERC circa 7,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Diese werden als „starting grants“ für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie als „advanced grants“ an bereits etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben. Die Nationalität der Bewerberinnen und Bewerber spielt dabei keine Rolle; sie müssen aber innerhalb der EU oder in den assoziierten Staaten forschen. Dass die ausgewählten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur weltweiten wissenschaftlichen Spitzenklasse gehören, zeigt exemplarisch die Verleihung des diesjährigen Nobelpreises für Physik an Kostya Novoselov. Herr Novoselov erhielt bereits 2008 einen „starting grant“.
Dr. Jack Metthey, Direktor der ERC Executive Agency, erklärte uns letzte Woche in Brüssel, dass im Vergleich zum Durchschnitt die Bewerbungen von Deutschen für einen ERC-Grant überproportional positiv beschieden wurden. Hier wirkt sich wohl die gute Vorbereitung der Anträge aus, unter anderem durch die DFG. Feststellen muss man aber auch, dass wir Deutschen „Exporteure von Talenten“ sind. Denn viele deutsche Staatsbürger, die einen Grant gewinnen, forschen mit diesem Geld im europäischen Ausland, insbesondere in Großbritannien. Auch ziehen wir immer noch zu wenig ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland. Hier müssen wir auf Bundes-, aber auch Landesebene unbedingt nachbessern.
Bei aller Euphorie für das Instrument war bei der Delegationsreise aber auch nicht zu überhören, dass die Administration des ERC durchaus noch verbesserungsfähig ist. Das betrifft die administrativen Regularien für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber besonders auch die institutionelle Anbindung des ERC und damit die Sicherstellung des Bottom-up-Prinzips.
So wie das Thema ERC bei unseren Gesprächspartnern die Augen leuchten ließ, so verdrehten sie diese bei einem anderen Thema: dem Internationalen Thermonuklearen Experimental-Reaktor, kurz ITER. Dabei handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der EU, Japans, Russlands, der USA, Chinas, Indiens und Südkoreas zum Bau und Unterhalt eines Fusionsforschungsreaktors. In diesem Reaktor sollen Abläufe, die in der Sonne stattfinden, in einem Kraftwerk nachempfunden werden. Als Standort wurde das französische Cadarache gewählt. Die EU trägt 45,5 Prozent der Kosten. Im Unterschied zum ERC handelt es sich bei ITER um ein typisches Top-down-Projekt. Dies bedeutet, dass über die Förderung des Projektes maßgeblich auf politischer Ebene entschieden wurde und wird.
Was unseren Gesprächspartnern in Brüssel – und ich denke, uns geht es dabei ähnlich – bei dem Thema besonders übel aufstieß, sind die bekannt gewordenen enormen Kostensteigerungen für das Projekt. Nach aktuellen Informationen werden die Baukosten für ITER auf über 15 Milliarden Euro steigen, was eine Verdreifachung der ursprünglichen Kosten bedeutet. Für die EU heißt dies einen Kostenanstieg auf circa 7,2 Milliarden Euro, im Vergleich zu den 2,7 Milliarden Euro, die bei Vertragsunterzeichnung vereinbart waren. Diese Gelder sollen nach der Entscheidung des Europäischen Rates aus dem EU-Haushalt fließen. Allein für die Jahre 2012 und 2013 klafft nach heutigen Informationen eine Finanzierungslücke von 1,3 Milliarden Euro. Ein großer Teil soll davon aus dem EU-Forschungsbudget gegenfinanziert werden, was nachhaltig negative Auswirkungen auf die gesamte europäische Forschungslandschaft haben könnte. Frau Professor Helga Nowotny, die Generalsekretärin des ERC, sieht deshalb die Gefahr, dass auch am ERC gespart werden könnte. Das ist sicher keine abwegige Einschätzung.
Eigentlich hatten sich Rat, Kommission und Vertreter des Europäischen Parlaments letzte Woche auf einen Haushaltskompromiss geeinigt. Geplant waren Budgetumschichtungen im Bereich 1a (Wettbewerbsfähigkeit) und 2 (Landwirtschaft) für den Zeitraum 2010 bis 2013. Dieser Vorschlag ist aber vom Europäischen Parlament abgelehnt worden. Eine Entscheidung über die ITER-Finanzierung ist nun mit ungewissem Ausgang auf 2011 verschoben worden. Wie mögliche Erhöhungen nach 2013, die bei diesem Mammutprojekt leider auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden können, abgefangen werden, ist noch vollkommen unklar. Die Kommission hat bereits vorgeschlagen, diese bzw. ähnliche Projekte in Zukunft nicht mehr aus dem allgemeinen EU-Haushalt, sondern über einen extra Topf zu finanzieren. Woher das Geld dafür kommen soll, ist ebenfalls noch vollkommen unklar. Eine stärkere finanzielle Beteiligung der Mitgliedstaaten an ITER wird somit wahrscheinlicher. Wir als SPD-Bundestagsfraktion lehnen dies ab.
Ob die Kernfusion in der Zukunft wirklich zu einer bezahlbaren und sicheren Energiequelle wird, ist vollkommen unklar. Herausfinden werden das unsere Nachnachfolger frühestens 2050. Fusionsforschung ist ein spannender Forschungsbereich. Für die bereits heute nötige Energiewende kommt sie als Energiequelle aber definitiv zu spät. Wir als SPD-Bundestagfraktion fänden es nicht hinnehmbar, wenn ITER auf Kosten regenerativer Energiequellen finanziert werden würde. Nicht akzeptierbar wäre es außerdem – und ich glaube, da sind wir uns in diesem Hohen Hause einig – wenn ITER auf Kosten des bereits heute überaus erfolgreichen ERC gebaut werden würde. Ein einziges Forschungsprojekt darf einfach nicht auf Kosten aller anderen Forschungsbereiche durchgedrückt werden. Dr. Metthey wies in seinem Vortrag darauf hin, dass die Einrichtung des ERC ohne die starke Unterstützung Deutschlands nicht möglich gewesen wäre. Der ERC benötigt auch weiterhin diesen Beistand. Eine einstimmige Unterstützung durch den Deutschen Bundestag wäre deshalb aus meiner Sicht wünschenswert.

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