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Ausstieg aus ITER-Vertrag keine Lösung

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10.06.2010

Herr Präsident!

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die Sonne meint es heute wieder sehr gut mit uns. Draußen sind 30 Grad. Wenn man in der Sonne steht, spürt man die Sonnenstrahlung und die Wärme, die auf einen einwirkt. Welch gewaltige Menge an Energie uns zugeführt wird, wird einem vielleicht klar, wenn man sich vor Augen führt, dass von diesem Pult, von dieser Stelle aus gesehen, sich die Sonne in einer Entfernung von 150 Millionen Kilometern befindet. Trotzdem ist sie in der Lage, uns eine solche Energiemenge zu senden.

Wie passiert das? In der Sonne werden zwei leichte Atomkerne zu einem schwereren verschmolzen. Das ist die Kernfusion. Unter einem milliardenfachen Erdatmosphärendruck und 15 Millionen Grad Celsius Temperatur wird eine so gewaltige Menge an Energie freigesetzt, dass es ausreicht, uns Licht und Wärme in ausreichender Menge zu senden.

Das ist faszinierend. Ich kann nachvollziehen, dass Forscher seit über einem halben Jahrhundert von der Vorstellung bewegt sind, diesen Prozess der Kernfusion, also der Kernverschmelzung, auf die Erde zu holen und für die Energiegewinnung nutzbar zu machen. Aus unserer Sicht ist allerdings zu vermuten, dass das noch ein wenig dauern wird. Es ist nicht machbar, dieses Projekt als einzelnes Land zu stemmen. So haben sich neben der Europäischen Union sechs weitere Länder, unter anderem China, Indien, die USA, Südkorea und Japan, zusammengefunden, um einen Kernfusionsexperimentalreaktor namens ITER in Cadarache in Frankreich zu bauen. 2019 soll es die ersten Plasmaversuche geben, 2026 den ersten Betrieb mit Deuterium und Tritium, und für 2050 wird vermutet, dass der erste kommerzielle Reaktor in Betrieb gehen könnte. In 40 Jahren, von heute an gerechnet, könnte durch Kernfusion vielleicht das erste Kilowatt Strom geliefert werden.

Allerdings hat man das auch vor 40 Jahren schon geglaubt. Eigentlich müsste es schon heute einen Kernfusionsreaktor geben. Als ich vor zwölf Jahren ins Parlament kam, war einer meiner ersten Kontakte im wissenschaftlichen Bereich ein in Sachen Kernfusion sehr engagierter Professor, der vermutete, dass wir in 30 bis 40 Jahren in der Lage seien, die Kernfusion tatsächlich zu nutzen. Das ist allerdings schon zwölf Jahre her. Problem Nummer eins bei der Kernfusion ist, dass sie sich nach wie vor im Stadium der Grundlagenforschung befindet und noch lange befinden wird. Die Anwendungsmöglichkeit liegt in weiter Ferne.

Problem Nummer zwei ist – das ist der Punkt, über den wir im Moment im Wesentlichen reden –, dass wir von einer gewaltigen Kostenexplosion ausgehen müssen. Während noch 2001 von der Europäischen Kommission und den Betreibern berechnet wurde, dass das gesamte Projekt 5,9 Milliarden Euro kosten und der Anteil für die Europäische Union in Form der Euratom 2,7 Milliarden Euro betragen würde, sprechen wir heute von 7,2 Milliarden Euro möglicher Kosten für Euratom.

Wir sprechen also über eine Steigerung von 2,7 auf 7,2 Milliarden Euro. Allein 2012 und 2013 braucht das ITER-Projekt 1,4 Milliarden Euro zusätzlich. Die indirekte Belastung für Deutschland beträgt für diesen Zeitraum etwa 280 Millionen Euro.

Ich gebe zu: Mein Vertrauen in die Kostenkalkulation, was ITER und Kernfusion anbelangt, schwindet dramatisch, und das nicht erst seit heute.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Analyse im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen deckt sich eindeutig mit dem, was wir formulieren. Allerdings können wir die Konsequenz, die außerordentliche Kündigung des Vertrages, nicht als realistisch einschätzen. Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.

Wir haben ein großes Dilemma, nämlich eine komplexe Vertragssituation. Dieser Vertrag zwischen den sechs Ländern und der Europäischen Union ist vermutlich entstanden – anders kann ich das nicht erklären –, um den Kernfusionsreaktor nach Europa zu bekommen.

Wenn man sich den Vertrag durchliest, kann man nicht verstehen, warum er so formuliert wurde. Nach Art. 26 dieses Vertrags – Deutschland ist nicht direkt an dem ITER-Abkommen beteiligt, sondern nur über Euratom – kann nämlich jede Partei außer der Gastgeberpartei vom Vertrag zurücktreten. Das heißt, alle können austreten, nur das Sitzland nicht. Das ist die Europäische Union, Frankreich im Besonderen.

Das Dilemma Nummer zwei, in dem wir uns befinden, ist, dass nach Art. 26 dieses ITER-Vertrages der Rücktritt nicht den Beitrag zu Bau- und Stilllegungskosten berührt.

Sprich: Wenn man tatsächlich austreten würde, was den anderen Vertragsparteien möglich wäre, wäre man zwar nicht mehr dabei, würde aber trotzdem zahlen. Das muss man vor dem Hintergrund sehen, dass die Beiträge zu ITER, zu diesem Reaktor, im Wesentlichen in der Form von Lieferungen von fertigen Komponenten aus den jeweiligen beteiligten Ländern, also auch Deutschland, geleistet werden. Die Beiträge werden also von deutschen Unternehmen in Form von Material und Technologie geleistet. Bei einem Ausstieg zahlt man nach meiner Interpretation des Vertrages weiter, arbeitet aber nicht mehr mit.

Die SPD bleibt dabei: Die Kernfusion ist zweifelsohne eine höchst spannende Forschungsoption. Sie war für uns aber nie Energieversorgungsoption.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist keine Energieoption für die Zukunft. Wir brauchen bereits heute und nicht erst 2050, und zwar schneller, als wir es bisher anstreben, den Einstieg in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

damit wir den nachfolgenden Generationen keine Klimakatastrophe hinterlassen und ihnen die Möglichkeit geben, Ressourcen, die wir heute verschwenden, weiterhin zu nutzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das allerdings muss heute passieren und nicht erst 2050.

Nicht hinnehmbar ist für uns, dass diese Kostensteigerungen in der Form stattfinden, wie sie jetzt von der Europäischen Kommission an uns übermittelt worden sind. Wir drängen ausdrücklich darauf, dass sich die Bundesregierung für eine Deckelung der Beiträge einsetzt. Soweit ich das mitbekommen habe, vertritt auch sie diese Position. Es darf nicht sein, dass die Kosten über das bisherige Maß hinaus gesteigert werden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass sich die Industrie stärker an diesem Projekt beteiligt. Wenn allgemein anerkannt werden sollte, dass 2050 eine kommerzielle Nutzbarkeit vorhanden sein wird, dann sind wir der Auffassung, dass sich die Industrie auch heute schon daran beteiligen muss.

Wir wollen, dass die Bundesregierung eine transparente Kostenanalyse und vor allen Dingen eine Prognose vorlegt, wie es bei ITER weitergehen wird. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie für den Fall der Fälle eine Exitstrategie, also eine Ausstiegsstrategie, vorbereitet, wie wir gegenüber Europa durchsetzen – wie auch immer das gehen kann –, dass wir uns an den weiteren Kosten nicht mehr beteiligen.

Wir brauchen nicht die Mechanismen, die in der Sonne zur Energieentstehung beitragen, auf die Erde zu holen. Wir können die Energie der Sonne schon heute ausgiebig nutzen. Das sollten wir mit aller Kraft tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Sonne ist für alle da und für alle nutzbar. Kernfusion kann nur von denen genutzt werden, die sie sich leisten

können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

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