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Bei der Bildung funktioniert Schwarz-Gelb überhaupt nicht

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19.01.2010

René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Das ist meine erste Haushaltsrede als Oppositionspolitiker, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) was mich gleichwohl nicht daran hindert, das Erfreuliche im Etat zu erkennen und auch zu benennen. Frau Schavan, ausdrücklich freue ich mich, dass es Ihnen ge­lingt, eine fünfte oder auch sechste Stufe einer Rakete zu zünden, die die Forschung in Deutschland voranbringen soll. Aber es sei mir auch erlaubt, darauf hinzuweisen, wer diese Rakete denn gestartet hat – wir haben gerade ein paar Zahlen von dem Kollegen gehört –: Als Rot-Grün 1998 die Regierung übernahm, gab es keine Startrampe und auch keine Rakete in Sachen Forschung. Seinerzeit hatten der damalige Forschungsminister Rüttgers und Herr Kohl die Ausgaben für Bildung und Forschung gesenkt.

(Zuruf von der SPD: Das ist mehr als zehn Jahre her!)

Wir haben das erst wieder mühsam aufbauen müssen. Die Startphase einer Rakete ist immer die schwierigste. Wir haben auch Widerstände überwinden müssen. Wer das nicht glauben mag, kann es in den Protokollen des Bundestags nachlesen, beispielsweise als wir das Ganz­tagsschulprogramm diskutiert haben, das in allen Kom­munen gut ankommt und über das viele froh sind. Wenn man einige Reden heute hört, könnte man glauben, dass es die jetzige Koalition erfunden hätte. Das ist aber nicht der Fall. Aber geschenkt; es sei Ihnen unbenommen, dass Sie sich mit fremden Federn schmücken.

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Helmut Schmidt hat sogar das Kindergeld gesenkt!)

Ich will nach ehrlichem Lob allerdings auch ehrliche Kritik im Forschungsbereich vorbringen und stakkatoartig einige Beispiele nennen. Erstes Beispiel: In der Sicherheitsforschung erhöhen Sie gegenüber dem Etat aus dem Jahr 2008 mit 18 Millionen Euro die Ausgaben auf nunmehr 55 Millionen Euro. Wir haben als Sozialdemokraten die Sicherheitsforschung stets sehr kritisch gesehen, weil wir fürchten, dass eine militärische Nutzung möglich ist, und weil sie zu technikzentriert erscheint. Wir brauchen in diesem Bereich aber einen ganzheitlichen Blick.

Ich nenne ein Beispiel. Wir diskutieren zurzeit sehr viel über Nacktscanner. Gleichzeitig wird das deutsche Sicherheitspersonal an Flughäfen demotivierend miserabel bezahlt. Die Israelis setzen auch auf Technologie, aber sie setzen den Schwerpunkt auf den Menschen. Sie haben gut ausgebildetes und gut bezahltes Sicherheitspersonal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In der Gesamtbetrachtung kann es also nicht nur um Technologie gehen, sondern wir brauchen einen ganzheitlichen Blick. Im Sicherheitsbereich geht es aber vor allen Dingen um die Vermeidung von Konflikten und Krisen. Leider finden wir in diesem Etat nichts zu dem Bereich Friedens- und Konfliktforschung. Er kommt schlicht und einfach nicht vor. Das werden wir nicht zulassen. Wir fordern ausdrücklich Verbesserungen im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen. Der Etat für innovative Dienstleistungen und Arbeitsforschung stagniert leider, wie ein Vergleich dieses Haus­haltes mit dem des Vorjahres zeigt. Wir wissen aber aus Gutachten, dass der Bereich wissensintensive Dienstleis­tungen einer der Wachstumsmotoren der Zukunft ist, was Arbeitsplätze und Technologien anbelangt. Wie wir in Zukunft arbeiten und erwerbstätig sein werden, ist eine zentrale Frage. Dafür brauchen wir Forschung und Expertise. Deswegen halten wir es für notwendig, dass dieser Bereich stärker gefördert wird.

Als drittes Beispiel nenne ich die Energietechnologien. Auch hier gibt es keine Veränderungen gegenüber dem Vorjahr. Das ist sträflich, weil auch das ein Wachs­tumsbereich ist. Hinzu kommt, dass die Hälfte der 58 Millionen, die in den Haushalt eingestellt sind, in Kernfusion und Atomenergieforschung fließen. Das ist falsch. Wir müssten eigentlich aus der Erfahrung lernen.

Gleichzeitig redet diese schwarz-gelbe Koalition davon, die Bedingungen für die Einspeisung von regenera­tivem Strom dramatisch zu verschlechtern. Damit werden die Menschen davon abgehalten, sich entsprechende Anlagen aufs Dach zu stellen.

(Klaus Hagemann [SPD]: Und die Restlaufzeit wird verlängert!)

Gleichzeitig wird über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken gesprochen. Im Bergwerk Asse gibt es 125 000 Fässer mit schwach- oder mittelradioaktivem – man weiß es nicht genau – Müll. Jedes Jahr einer Verlängerung der Laufzeiten bedeutet Tausende von Fässern zusätzlich. Wir haben 172 Millionen Euro für den Rückbau kerntechnischer Anlagen in diesen Haushalt einstellen müssen, und dabei handelt es sich nur um Forschungsreaktoren.

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was Sie da erzählen, ist doch absoluter Schwachsinn! Sie haben überhaupt keine Ahnung, worüber Sie reden! Putzlappen sind da eingelagert!)

– Stellen Sie eine Zwischenfrage, statt einfach herumzuschreien.

Für Asse – seit 2008 fällt Asse glücklicherweise nicht mehr unter diesen Etat – waren Kosten in Höhe von 350 Millionen Euro im Etat enthalten. Umweltminister Röttgen wird sich darum kümmern müssen, wie er bei den auf 2 Milliarden Euro geschätzten Kosten die Atomfässer wieder aus der Asse herausbekommt. Das ist unverantwortlich.

(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Weil Gabriel nichts gemacht hat!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie haben eine Zwischenfrage gewünscht. Jetzt gibt es sie.

Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
Herr Kollege, ich finde es unglaublich, wenn Sie hier über Dinge sprechen, von denen Sie offensichtlich keine Ahnung haben. Wissen Sie, was in Asse eingelagert ist, wer das dort eingerichtet hat und die Verantwortung dafür trägt, und wer seinerzeit Ministerpräsident und Umweltminister war? Jetzt stellen Sie es so hin, als würde Frau Schavan die Verantwortung dafür tragen.

Diese Bundesregierung muss jetzt sehen, dass sie den Mist dort herausschafft. Sie sollten sich auf der Zeitachse vor Augen führen, wer wirklich in Niedersachsen die politische Verantwortung hatte. Wie viele Millionen oder gar Milliarden sind für irgendein Theater ausgegeben worden, das Sie veranstaltet haben, um die nukleare Entsorgung in Deutschland zu behindern? Wenn Sie das alles als gefährlich bezeichnen, dann müssen Sie sich fragen, warum Sie den Schaden nicht rechtzeitig abgewendet haben. Was haben Sie konkret gemacht, als Sie die Regierungsverantwortung hier und in Niedersachsen getragen haben?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Na, junger Mann, das wird schwer!)

René Röspel (SPD):
Sie können gerne im Protokoll nachlesen, was ich gesagt habe. Das ist etwas völlig anderes als das, was Sie versuchen mir zu unterstellen. Ich habe gesagt, dass bis zum Jahr 2008 die Mittel für den Bereich Asse II über die Helmholtz-Gesellschaft im Haushalt des Bundes­ministeriums für Bildung und Forschung etatisiert waren. Ich habe keine Schuldzuweisung vorgenommen, sondern gesagt, dass wir froh sein können, dass wir die Ausgabenpolitik – bisher 350 Millionen Euro – nicht fortsetzen müssen. In den letzten Jahrzehnten haben sicherlich mehrere Personen und nicht nur eine Person Verantwortung getragen; hier gebe ich Ihnen recht. Ich habe aber auch nichts anderes behauptet. Das ist kein Vorwurf an Frau Schavan. Wenn ich mir allerdings die schwarz-gelbe Politik anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie es sind, die weiteren Atommüll produzieren wollen, obwohl Sie noch keine Antwort darauf haben, wo dieser Müll gelagert werden soll.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Regierung wird in den nächsten Jahren vor dem Problem stehen, mindestens 2,5 Milliarden Euro dafür auszugeben, dass alle Bundesregierungen und Landesregierungen zuvor falsch gehandelt haben und Atommüll unterirdisch gelagert haben. Wo der Atommüll gelagert werden soll, wird die Kernfrage sein. Darüber werden wir in den nächsten Jahren noch diskutieren.
Bitte, Herr Schirmbeck, wenn Sie weiter fragen möchten.

(Zuruf von der CDU/CSU)

– Ich erwarte Gegenbeispiele, die meine Position widerlegen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erlaube noch eine Nachfrage. Aber dann sollte mit dem Dialog Schluss sein. Bitte, Herr Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
Herr Kollege, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in Asse schwach Wärme entwickelnde Abfallstoffe aus medizinischen Einrichtungen eingelagert sind, und sind Sie bereit, Vorschläge zu machen, wo diese Abfälle gelagert werden sollen?

René Röspel (SPD):

In Asse sind 125 000 Fässer mit schwach radioaktivem Müll gelagert. Ich kann mich an das Datum meiner Frage, die ich dem Ministerium gestellt habe, nicht mehr erinnern. Die Antwort lautet aber sinngemäß, dass es sich überwiegend nicht um medizinisch-technischen Müll, sondern um betrieblichen Müll handelt. Der Anteil des medizinischen Mülls wie Krankenhausabfälle am Atommüll liegt bei 2 oder 3 Prozent. Die genauen Zahlen liefere ich Ihnen gerne nach. Jedenfalls ist der Anteil verschwindend gering. Mit dem, was Sie gerade vorgetragen haben, liegen Sie völlig falsch. Es tut mir leid.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der letzten Minute meiner Redezeit möchte ich Sie ausdrücklich loben. Ich finde es richtig und wichtig, dass Sie den von der SPD auf den Weg gebrachten Pakt für Forschung und Innovation weiterhin fördern und ausbauen. Die Forschungsorganisationen sind wichtig und brauchen mehr Geld. Es geht allerdings nicht nur um finanzielle Verbesserungen. Vielmehr brauchen wir auch junge Menschen, die begeistert Forschung betreiben. Herr Meinhardt und Frau Schavan, Ihre Worte habe ich sehr wohl vernommen, dass Sie jedem jungen Menschen eine Chance geben wollen. Meine Erfahrungen, die ich mit meinen beiden schulpflichtigen Kindern in Nordrhein-Westfalen mache, sind aber ganz anders.

Als Bundestagsabgeordneter mit einem entsprechendem Gehalt kann man vielleicht solche wohlfeilen Reden wie Sie halten. Aber die Wirklichkeit sieht für einen normalen Facharbeiter ganz anders aus. In Nordrhein-Westfalen führt die Politik von Schwarz-Gelb dazu, dass Kinder ausgegrenzt und regelrecht verschlissen werden und dass ihnen Chancen genommen werden. Sie werden ausgegrenzt, weil die Grundschulbezirke aufgehoben werden. Sie werden ausgegrenzt, weil Lehrer entscheiden müssen, ob 10-Jährige Mathematikprofessor oder Krankenschwester werden sollen.

(Zuruf von der CDU/CSU)

– Das ist kein Wahlkampf. – Die Kinder werden durch das Turboabitur verschlissen. Die meisten werden in ihrer Entwicklung behindert, weil ein normaler Facharbeiter die dort erhobenen Studiengebühren nicht oder nicht so einfach aufbringen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es gibt sicherlich positive Ansätze im Forschungsetat. Aber Bildung und Forschung müssen als Einheit gesehen werden. Bei der Bildung funktioniert Schwarz-Gelb überhaupt nicht, sondern verschlimmert die Situation. Deswegen hat das Land Schwarz-Gelb nicht verdient.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Rede als Video-Stream auf der Internetseite des Deutschen Bundestages

Bundestags-Protokoll Nr. 17/14 vom 19. Januar 2010

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