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Technologische Leistungsfähigkeit und Nanotechnologie

02.07.2009

Rede zur Unterrichtung „Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit 2009“ und unter anderem zum Antrag „Nanotechnologie – gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder“

René Röspel (SPD):

In der letzten Sitzungswoche hatten wir Forschungspolitiker ein sehr spannendes Gespräch mit dem Vorsitzenden der Expertenkommission Forschung und Innovation, Herrn Professor Harhoff. Ich wiederhole hier gern noch einmal mein bei diesem Gespräch geäußertes Lob an alle Mitglieder der Expertengruppe.

Denn auch das aktuelle Gutachten ist wieder sehr aufschlussreich. Auch wenn es in diesem Jahr nur ein Kurzgutachten werden sollte, so ist es wieder ein reichhaltiger, lesenswerter und nicht ganz kurzer Bericht geworden. Mir fällt es deshalb schwer, aufgrund der zeitlichen Begrenzung eine ausgeglichene Themenauswahl vorzunehmen. Ich versuche es dennoch.

Das Gutachten verweist zu Recht darauf, dass in wirtschaftlich schlechten Zeiten in Unternehmen besonders die Bereiche Forschung und Innovation – FuE – zurückgefahren werden. Man kann es ihnen nicht verübeln. Aber das Gutachten weist ebenfalls darauf hin: Forschung und Entwicklung sind wichtige Komponenten für das Wirtschaftswachstum in industriellen Ländern.

Das Zurückfahren dieses Bereiches wird kontraproduktiv sein. Zwar ist der Einfluss der Konjunktur auf die Forschung und Entwicklung in Deutschland geringer als in anderen Ländern, doch reagieren besonders die kleinen und mittleren Unternehmen stärker auf Veränderungen der konjunkturellen Bedingungen als große Unternehmen.

Dies liegt in Deutschland insbesondere an deren geringem Eigenkapital. In der nächsten Legislaturperiode sollten wir Forschungspolitiker uns deshalb dem Bereich Eigenkapitalfinanzierung noch einmal intensiv zuwenden.

Auch in diesem Zusammenhang haben die Autoren bereits im letzten Gutachten die Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung in Deutschland vorgeschlagen. Auch dieses Jahr verweisen sie wieder darauf. Die SPD hat sich in ihrem Wahlprogramm übrigens bereits grundsätzlich für eine solche Förderung für KMU ausgesprochen. Dennoch muss man die in vielen Teilen gut begründete und nachvollziehbare Forderung der Expertenkommission in einen politischen Gesamtzusammenhang stellen, wie sie selbst es auch tut.

Steuerliche Forschungsförderung kann nur zusätzlich zur Projektförderung erfolgen. Die allein praktische Frage bleibt die nach der Finanzierung einer solchen zusätzlichen Förderung. In der gegenwärtigen Situation scheint mir deshalb die Diskussion darüber theoretisch, wenn nicht sogar illusorisch-populistisch, wenn man wie die FDP oder die darüber zerstrittene Union Steuersenkungen verspricht. Wenn wir – wie auch von der Expertenkommission gefordert und zu Recht angemahnt – von der Orientierung auf hochwertige Technologien wie Automobil-, Maschinenbau- und Chemieindustrie hinkommen müssen zu einem stärkeren Ausbau von Spitzentechnologie, so wird uns eine pauschale Förderung – mit allen ihren Vorteilen – nicht nützen, sondern wir müssen gezielte Projekt- und Programmförderung betreiben.

Wie erfolgreich das sein kann – für Technologieschub, Wirtschaftskraft, Arbeitsplatzschaffung und Umweltschutz – hat die unter der rot-grünen Regierung verstärkte Förderung etwa von Umwelttechnologien, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien eindrucksvoll gezeigt. Die vielen anderen guten Beispiele im Bereich Elektromobilität, optische Technologien oder Nanotechnologie, zu der wir heute einen umfassenden Antrag der Großen Koalition verabschieden werden, belegen die Notwendigkeit der Projektförderung.

Ein ganz anderer, mindestens ebenso wichtiger Aspekt ist der folgende: Mögliche, für steuerliche Förderung benötigte Finanzmittel konkurrieren um einen anderen Bereich, der die zentrale Basis unserer Wissenschaft und unseres technologischen Erfolges darstellt, die Grundlagenforschung. Sie ist in Deutschland hervorragend aufgestellt, aber sie wird im Wesentlichen und mit einem zweistelligen Milliardenbetrag von der öffentlichen Hand finanziert. Das muss nicht nur so bleiben, sondern ausgebaut werden, nicht nur, weil Grundlagenforschung einen Wert an sich darstellt, sondern weil sich gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Nutzen mitunter erst viel später erschließt. Nur ein Beispiel: Auf Einladung meines Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann habe ich vor einigen Wochen die Biologische Anstalt Helgoland und die dortige Vogelwarte besucht. Dort wird hervorragende und leidenschaftliche wissenschaftliche Arbeit verrichtet, die vermutlich aus Sicht eines Wirtschaftsunternehmens zunächst als nicht sinnvoll oder unterstützenswert angesehen werden würde. Warum soll man denn regelmäßige Messungen von Temperatur und Zustand des Nordseewassers um Helgoland, Hummerforschung oder eine Vogelwarte finanzieren?

Erst heute zeigt sich die Bedeutung solcher Forschung für ein besseres Verständnis von Klimawandel und Ökologie – übrigens mit allen gewaltigen ökonomischen Konsequenzen, die ohne Umsteuerung die nachfolgenden Generationen zu tragen haben. Das Thema steuerliche Forschungsförderung werden wir in der nächsten Legislaturperiode sehr verantwortlich diskutieren müssen.

Sehr gefreut habe ich mich auch über einen anderen Abschnitt im Gutachten, auch wenn er nur sehr klein gehalten war, nämlich zum Thema Fachhochschulen. Diese stehen in Deutschland leider immer ein wenig im Schatten ihrer großen Schwestern, der Universitäten.

Aber beide Institutionen nehmen eine wichtige Rolle in der Lehre und Forschung in Deutschland ein. Fachhochschulen stellen besonders für in der Region ansässige kleinere und mittlere Unternehmen eine wertvolle Unterstützung dar. Das kann ich aus vielen Erfahrungen mit der FH Südwestfalen nur bestätigen. Die SPD hat das 1998 erkannt und seitdem die Förderung von Fachhochschulforschung stetig erhöht. Der Bund fördert Fachhochschulen in diesem Jahr mit 34 Millionen Euro. Wir werden das fortsetzen. Als Bund würden wir gern noch mehr tun. Das Gutachten verweist auch auf weiteren Handlungsbedarf. So ist es zum Beispiel nicht einsehbar, warum Fachhochschulprofessoren in der Regel keine Assistenten haben, die sie in der Forschung unterstützen könnten. Leider ist dieser Bereich auch nach der letzten Föderalismusreform immer noch Ländersache. Bildung ist ein viel zu wichtiger und anspruchsvoller Bereich, als dass er nur auf den Schultern der Länder liegen kann.

Hier muss der Bund in Zukunft noch mehr Möglichkeiten erhalten. Ich bin gespannt, zu welchem Schluss das nächste Gutachten mit dem Schwerpunkt Föderalismusreform kommen wird.

Wie schon im Gutachten 2008 fällt die Mahnung zum drohenden Fachkräftemangel wieder sehr deutlich aus.

Das Gutachten spricht von einem „ungebrochenen Trend zu mehr Hochqualifizierten in der gewerblichen Wirtschaft“ und zwei Seiten weiter „vom Rückgang der Studierneigung in Deutschland“. Bis ins Jahr 2020 wird Deutschland einen Zusatzbedarf von 1 Million Akademikern haben. Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl beruflich Qualifizierter ist allerdings nicht nur eine zentrale Frage für die – technologische und wirtschaftliche – Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Für uns Sozialdemokraten ist der gerechte Zugang zu Bildung viel mehr als die Bereitstellung von Fachkräften. Bildung ist für uns unabdingbares Grundrecht für jeden einzelnen Menschen und Bestandteil von Freiheit und Selbstbestimmung.

Wie keine andere Partei verkörpern wir diese Zielsetzung. Erlauben Sie mir bitte, dies ausnahmsweise auch zu personifizieren am Beispiel unseres Kollegen Dieter Grasedieck, der heute trotz seines Geburtstages im Plenum sitzt und nach der Wahl aus dem Bundestag ausscheiden wird: geboren als Kind einer Bergarbeiterfamilie in Gladbeck, mit 17 in die Schlosserlehre, Ingenieursstudium, Staatsexamina, Berufsschullehrer und beeindruckt von Willy Brandt. Lieber Dieter, du hast aus einer sehr typischen sozialdemokratischen Bildungsbiografie und deinem Berufsleben viele Erfahrungen und Engagement für junge Menschen und für die Bildungs- und Forschungspolitik mit in den Bundestag gebracht. Dafür gebührt dir unser aller Dank und Respekt. Wir haben gerne mit dir zusammengearbeitet. Du wirst uns fehlen.

Von dieser Stelle ein herzliches Glückauf für deinen wohlverdienten Ruhestand.

Allerdings mahnen uns die Gutachten der Expertenkommission, dass wir noch lange nicht am Ziel sind:

Wenn die Chancen auf ein Hochschulstudium für Akademikerkinder viermal höher sind als die für gleichermaßen begabte Kinder aus Arbeitnehmerfamilien, wenn Studiengebühren dazu führen, dass junge Menschen nicht studieren können und wenn immer noch die soziale Herkunft über die Aufnahme eines Studiums entscheidet, wissen wir, dass sozialdemokratische Bildungspolitik wichtiger ist denn je. Die Expertenkommission schreibt auf Seite 123:

Der Abbau dieses Ungleichgewichts ist allein schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit erforderlich.

Wenn diese Begründung Union und FDP nicht ausreicht, um endlich BAföG zu unterstützen, Studiengebühren abzuschaffen und für ein modernes und gerechtes Bildungssystem einzutreten, wie es die SPD tut, fruchtet vielleicht der Appell, dass die Fortsetzung konservativliberaler Bildungspolitik die technologische und damit ökonomische Zukunftsfähigkeit unseres Landes gefährdet.

Wir brauchen jeden jungen Menschen – unabhängig von seiner sozialen Herkunft. Die letzte Rede in einer Legislaturperiode bietet auch immer die Möglichkeit des Dankes. Ich will mich ausdrücklich bedanken bei den Koalitionspartnern der SPD in den letzten elf Jahren. Mit den Grünen zusammen haben wir 1998 begonnen, nach Jahren der Resignation und Stagnation endlich wieder neue Impulse bei Bildung und Forschung zu setzen. Wir sind dankbar dafür, dass auch die Union diesen Weg in der Großen Koalition mitgegangen ist.

Das aktuelle EFI-Gutachten bestätigt das:

Auch in Deutschland, wo praktisch die gesamten 1990er Jahre hindurch Stillstand geherrscht hatte, konnte ab 1998 eine Ausweitung der staatlichen FuE-Budgets um gut 1 Prozent jährlich realisiert werden.

Man kann das auch kürzer ausdrücken: Wenn die SPD regiert, ist das gut für Bildung und Forschung.

Quelle:

Deutscher Bundestag 2009, Plenarprotokoll 16/230 vom Donnerstag, den 2. Juli 2009

http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/16230.pdf

Die Schwerpunkte meiner Arbeit: