Rede zur Einrichtung des Deutschen Ethikrates
Rede zur Schlussberatung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung des Deutschen Ethikrats (Ethikratgesetz - EthRG) (Drs. 16/2856)
René Röspel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Ende der letzten Legislaturperiode und mit dem Auslaufen der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ hat sich eine Gruppe von Parlamentariern fast aller Fraktionen - von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke - Ende letzten Jahres zusammengesetzt und die Frage gestellt, wie die Ethikdebatte in Deutschland weiter organisiert wird und wie sie stattfinden wird. Das Ergebnis dieser interfraktionellen Diskussion haben wir heute in Form der Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke vorliegen, die zwar wortgleich sind, aber trotzdem getrennt eingebracht worden sind.
Ich will keinen Hehl daraus machen, dass ich nach wie vor große Sympathien für dieses eingebrachte Modell habe. Warum ist das so? Nach diesem Modell würde das Ethikgremium jeweils zur Hälfte aus Abgeordneten des Bundestages und aus Sachverständigen bestehen. Dies ähnelte dem Ethikkommissionsprinzip. Bundesministerin Schavan hat diese interfraktionelle Initiative mit ihrem Gesetzentwurf zunächst zunichte gemacht. Parlamentarier sollten in der Ethikdiskussion und -beratung keine Rolle spielen.
Natürlich kann man sagen, es reicht, wenn uns externe Gremien beraten und Stellungnahmen übersenden. Wir erleben in unserem Geschäft täglich, dass wir 50- bis 200-seitige Stellungnahmen und Expertisen auf den Tisch bekommen. Meine Erfahrung ist die, dass es etwas völlig anderes ist, ob man einen Bericht auf den Tisch gelegt bekommt oder ob man ihn selbst mit erarbeitet hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine Erfahrung aus der Enquete-Kommission ist: Gerade der Dialog und der Diskurs zwischen den Sachverständigen auf der einen Seite und den Abgeordneten auf der anderen Seite waren das Entscheidende und das Produktive dieser Kommission.
Zur Stellungnahme der Enquete-Kommission zur Palliativmedizin wurde uns beispielsweise durch einen Palliativmediziner als sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission die medizinische Expertise erstellt. Wir haben von den anderen Sachverständigen Stellungnahmen zu den theologischen und philosophischen Fragen erhalten, und wir haben als Abgeordnete die politische Einordnung einbringen können. Gemeinsam haben wir darüber beraten, was nötig ist und was möglich ist. Ich glaube, das war ein guter und produktiver Prozess, in dem Impulse gesetzt und das Machbare abgeschätzt werden konnte.
Übrigens hat am Montag dieser Woche der Nationale Ethikrat eine Stellungnahme zur Organspende vorgelegt. Soweit ich das mitbekommen habe, war die Kritik aller Fraktionen des Hauses sowie der Verbände und Kammern sehr groß und eher heftig. Vielleicht wäre dies anders ausgefallen, wenn Parlamentarier an der Beratung dieser Stellungnahmen teilgenommen hätten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich darf mir erlauben, noch einen Nebenaspekt anzusprechen. Die Enquete-Kommission hat eine Reihe von Veranstaltungen vor Ort durchgeführt. Wir haben an der Universität Jena und der Universität Tübingen mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus Bioethikinitiativen diskutiert. Wir haben die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel besucht und waren in den Alsterdorfer Kliniken in Hamburg. Wir sind dort als Kommission des Deutschen Bundestages aufgetreten und so aufgenommen worden. Wir haben den Respekt des Parlaments für die Arbeit, die dort jeweils geleistet wird, und Informationen über die Gesetzgebung und unsere Positionsfindung weitergeben können. Aber wir haben von diesen Veranstaltungen vor Ort - anders, als das sicherlich möglich ist, wenn man dort als einzelner Abgeordneter auftritt - auch etwas mitnehmen können: Informationen, Meinungen und Eindrücke von der Arbeit vor Ort. Das war eine wertvolle Erfahrung. Ich glaube, der Bundestag hat in diesen Veranstaltungen nicht das schlechteste Bild abgegeben.
(Beifall bei der SPD)
Als wir im November den Entwurf des Gesetzes zur Einrichtung eines Deutschen Ethikrates in erster Lesung beraten haben - ich konnte leider nicht anwesend sein; danke für die damaligen Genesungswünsche -, sah der Gesetzentwurf anders aus: Parlamentarier sollten nicht am Ethikrat beteiligt sein. Die große Mehrheit der SPD-Fraktion hat das als falsch angesehen. Schon in der Debatte vor sechs Monaten wurde klar, dass wir damit nicht allein sind. Kollege Lammert ist damals als Abgeordneter an das Rednerpult gegangen und hat, wie das Kollege Dr. Rossmann richtig sagte, eine sehr präsidiale Rede gehalten. Er hat den Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung eines Deutschen Ethikrates als eine sehr gute Grundlage für die weitere Debatte bezeichnet und gleichzeitig aus seiner Sicht einige Punkte benannt, die der Verbesserung bedurften.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben das aufgenommen, auch die Vorschläge von Herrn Lammert in den Gesetzentwurf von Frau Schavan einfließen lassen und ihn in jeder Hinsicht zum Positiven verändert. Die zunächst geplante Beschränkung der Arbeit und Aufgaben des Deutschen Ethikrats auf den Bereich der Lebenswissenschaften haben wir beseitigt und den Aufgabenbereich ausgedehnt. Natürlich ist die Befassung mit der Stammzellforschung eine ethische Aufgabe. Aber nicht nur diese ethische Frage ist wichtig. Die Menschen interessiert vielmehr folgende Frage: Wie geht man mit Patientenverfügungen, Organspenden, Palliativmedizin oder Hospizarbeit um? Die Erweiterung des Aufgabenspektrums des Deutschen Ethikrats, wie wir dies erreicht haben, bedeutet, dass sich der Deutsche Ethikrat auch mit diesen Themen befassen kann.
Die SPD-Fraktion hat aber vor allem die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wieder mit ins Boot der ethischen Debatte geholt. Nach langen Verhandlungen mit der größten Fraktion des Hauses, unserem Koalitionspartner, haben wir es - anders, als es zunächst im Gesetzentwurf vorgesehen war - geschafft, den Bundestag mit der Einrichtung eines Parlamentarischen Ethikbeirates wieder an der Diskussion über Ethikfragen zu beteiligen. Die Abgeordneten werden die Debatten des Deutschen Ethikrates künftig parlamentarisch begleiten und unterstützen. Sie werden die Stellungnahmen und Berichte des Deutschen Ethikrates beraten. Sie werden dazu zwar keine eigenen Stellungnahmen abgeben können; aber das Pingpongspiel auf ethischer Ebene ist ja nicht immer produktiv gewesen. Sie werden vor allen Dingen einschlägige Gesetzgebungsprozesse auf nationaler und europäischer Ebene begleiten können und entsprechend der Geschäftsordnung des Bundestages wie jeder Ausschuss daran mitarbeiten können.
Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem, was im November vorgeschlagen wurde.
Ich bedauere es ausdrücklich, dass wir es nicht geschafft haben, in der
organisatorischen Frage eine interfraktionelle Lösung hinzubekommen.
Die SPD-Fraktion will sach- und fachkundige Beratungen. Das ist jetzt
möglich. Wir schaffen es mit dem Ethikbeirat beim Deutschen Bundestag,
die außerparlamentarische Debatte über ethische Fragen mit der im
Parlament zu verzahnen.
Ich glaube, je breiter, je transparenter und je unterschiedlicher vom Spektrum her die Gremien zusammengesetzt sind, desto mehr werden sie selbst und ihre Stellungnahmen akzeptiert. Das ist meine Erfahrung. Viel hängt eben auch von der Zusammensetzung solcher Gremien ab.
Es ist sehr häufig kritisiert worden - das ist aber das Wesen der Großen Koalition -, dass die Regierungsfraktionen einen großen Anteil der Mitglieder des Deutschen Ethikrates benennen werden. Das hat sicher mit der Größe der Koalition zu tun. Aber vielleicht schaffen es alle Fraktionen zusammen - das ist mein Angebot -, im Sinne einer größtmöglichen Unterschiedlichkeit der einzelnen zu berufenden Sachverständigen ein Tableau hinzubekommen, das die Breite der ethischen Debatte widerspiegelt. Wenn wir das im Vorfeld der Benennung der jeweiligen Sachverständigen schaffen, dann haben wir, glaube ich, einen guten Weg eingeschlagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben lange genug über die organisatorischen Fragen diskutiert.
Jetzt müssen wir die ethischen Fragen und Sachfragen in den Vordergrund
stellen. Es wird genug Arbeit für den Ethikrat, den Parlamentarischen
Beirat und vor allen Dingen für uns Parlamentarier geben. Denn
letztendlich sind wir diejenigen, die in diesem Hohen Hause
eigenverantwortlich und individuell über schwierige ethische Fragen
abstimmen müssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)