Kritik an Forderungen der CDU zur Zukunft des BAföG
Rede anlässlich der Aktuellen Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unterschiedliche Forderungen aus der CDU zur Zukunft des BAföG
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen in dieser Debatte wieder etwas redlich werden. Die CDU/CSU hat schon zweimal Zahlen angeführt, aber nicht ein einziges Mal die Quelle dazu genannt.
(Thomas Rachel [CDU/CSU]: 17. Sozialerhebung!)
Ich empfehle Ihnen, sich den Bericht der 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes anzuschauen. Dort steht, dass die Zahl derer, die aus einer Arbeitnehmerfamilie kommen und BAföG erhalten, von 15 auf 21 Prozent gestiegen ist. Das liegt schlicht und einfach daran, dass wir die Grenze für die Freibeträge erhöht haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diejenigen, deren Einkommen knapp über dieser Grenze lagen und kein BAföG bekamen, erhalten es jetzt. Darauf ist die Erhöhung dieser Zahl zurückzuführen.
Wir haben hier schon eine ganze Reihe von Fakten genannt. Es bleibt dabei: Der letzte Bildungsminister der Regierung Kohl, Jürgen Rüttgers, hat das BAföG heruntergewirtschaftet. Bis 1998 ist die Zahl der BAföG-Empfänger auf ein Rekordminimum zurückgegangen. Erst seitdem Rot-Grün die Regierung übernommen und das BAföG reformiert hat, indem zum Beispiel die Sätze und Freibeträge erhöht wurden, steigt die Zahl der BAföG-Empfänger wieder. Wir investieren in die Köpfe der Menschen; dazu ist genug gesagt worden. Wir fördern die Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielleicht muss man die Diskussion ohne die Zahlen führen und überlegen, was es für die betroffenen jungen Menschen bedeutet. Ich wohne nach wie vor in dem Stadtteil meiner Heimatstadt Hagen, in dem ich groß geworden bin. Das ist ein Stadtteil mit vielen Arbeitern und einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen, normalen Arbeitnehmerfamilien und Alleinerziehenden. Die Tatsache, dass ich in meinem Wahlkreis relativ viel zu Fuß und mit Bussen unterwegs bin, zeigt mir die Situation der Menschen in meiner Umgebung. Ich sehe, wie die Kinder aufwachsen. Ich weiß, dass viele ihre Kinder, obwohl sie ein höheres Bildungsniveau verdient hätten, traditionell auf eine Realschule schicken, auch wenn sie sehr gut sind. Alles andere ist eher selten.
Was bedeutet es für eine normale Arbeitnehmerfamilie aus einer solchen Gegend, wenn Jürgen Rüttgers Ministerpräsident in NRW wird und sich die Politik der CDU durchsetzt? Dadurch wird diese Arbeitnehmerfamilie mehr denn je vor die Frage gestellt werden: Können wir uns ein Studium unseres Kindes überhaupt leisten?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Thomas Rachel [CDU/CSU]: Reine Polemik!)
- Nein, das ist keine Polemik. Das, was Frau Schavan gesagt hat, ist
oft genug zitiert worden, nämlich die Forderung nach der kurzfristigen
Abschaffung des BAföG, die von den Bildungsministern aus Niedersachsen
und Brandenburg unterstützt wird. Zwei Tage später hat der Sprecher von
Frau Schavan, Schanz, in der „Tageszeitung“ vom 8. April gesagt:
Wir stellen das Bafög in den nächsten zwei, drei Jahren nicht in Frage.
(Beifall bei der SPD)
Was heißt das? Sie können es gar nicht, weil wir noch mindestens zwei Jahre regieren werden. Ich glaube, Frau Schavan hat die Wahrheit gesagt.
(Nicolette Kressl [SPD]: So ist es! Es ist ihr rausgerutscht!)
Viele aus der CDU haben sich hinter sie gescharrt. Ihnen ist es schlicht und einfach peinlich, dass diese Wahrheit schon jetzt ans Licht gekommen ist. Es wird noch peinlicher, wenn Sie in der Debatte eine Erhöhung des BAföG fordern, eine Einrichtung, die Sie eigentlich ablehnen.
(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)
Gleichzeitig will Jürgen Rüttgers Studiengebühren von bis zu 1000 Euro im Jahr zulassen. Ich kann mir das als Abgeordneter für meine ersten beiden Kinder vielleicht noch leisten, aber beim dritten Kind wird es schwierig, Studiengebühren zu zahlen. Aber wie wird eine Arbeitnehmerfamilie entscheiden müssen?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für sie wird es unmöglich werden, ein Studium zu finanzieren, wenn sie kein BAföG mehr erhalten und dann auch noch Studiengebühren zahlen müssen. Das ist die Realität. Sie müssen einfach einmal auf die Straße gehen und sich die Leute anschauen, die zumindest uns am Herzen liegen.
Wir wollen keine Studiengebühren. Wir wollen eine umfassende Bildungspolitik machen. Wir wollen bessere Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen. Wir investieren 4 Milliarden Euro in ein Ganztagsschulprogramm, damit Frauen, die berufstätig sein wollen, die Sicherheit haben, dass ihre Kinder vernünftig betreut werden - das ist eine freiwillige Institution -, und damit die Kinder den Tag über beaufsichtigt und gefördert werden und nicht auf der Straße herumhängen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Eltern merken, wie gut dieses Angebot ist. Ich erlebe mittlerweile auch in den CDU-regierten Kommunen in Nordrhein-Westfalen - diese gibt es leider - und in den CSU-regierten Kommunen in Bayern, dass die CDU/CSU gar nicht umhinkommt, dem Willen und dem Druck der Eltern nachzugeben und Angebote für Ganztagsschulen zu machen. Das ist schlicht und einfach so.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie leben in einer anderen Welt!)
Wir wollen, dass auch Menschen aus Arbeitnehmerfamilien studieren können. Sie wollen oder nehmen zumindest in Kauf - das ist der Unterschied -, dass künftig wieder die soziale Herkunft stärker als jetzt - das ist uns durch die PISA-Studie bescheinigt worden - darüber entscheidet,
(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch die Unwahrheit! Das ist eine bösartige Unterstellung!)
wer ein Studium aufnehmen kann. Es werden wieder weniger
Arbeitnehmerkinder studieren können. Die soziale Herkunft wird über die
Bildungschancen entscheiden. Es werden nicht mehr die klugen Köpfe
darüber entscheiden, ob sie studieren oder nicht. Ich werde es nicht
hinnehmen, dass ein junger Mensch nur deshalb nicht studieren kann,
weil sein Vater Stahlarbeiter ist oder seine Mutter Verkäuferin. Wir
werden uns für die jungen Menschen einsetzen.