Chancen der Grünen Gentechnik nutzen
Rede zum TOP „Beratung des Antrags der CDU/CSU: Verantwortung für die Sicherung der Welternährung übernehmen - Chancen der grünen Gentechnik nutzen“
Bundestagsprotokoll vom 23.10.2003
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion.
René Röspel (SPD):
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Den Hunger in der Welt bekämpfen, das ist eine Vorstellung, die wir alle teilen. Den Hunger in der Welt mit grüner Gentechnologie bekämpfen, das ist eine große, eine sehr interessante Herausforderung. Aber ist es eine realistische Herausforderung? Diese Frage muss erlaubt sein. Ist der Hunger in der Welt zum Beispiel nicht eher - Frau Ministerin Künast und auch Herta Däubler-Gmelin haben darauf hingewiesen - ein Problem der ungerechten Verteilung? Müsste dieses Problem nicht politisch gelöst werden?
(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Auch!)
Kann man ein politisches Problem mit einer technischen Antwort lösen?
(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Unter anderem!)
Ich glaube, auch das ist eine interessante Frage.
Ich habe meine Zweifel, ob grüne Gentechnologie die richtige Antwort auf diese Frage ist. Ich will das auch begründen. Wir haben einigen Optimismus gehört. Wenn man optimistisch ist, dann kann man sagen, dass der verstärkte Anbau gentechnisch veränderter Organismen und Nahrungsmittel die Produktion der Entwicklungsländer erhöhen könnte. Aber ist diese optimistische Sicht realistisch? Ich stelle diese Frage, weil der Zeitraum der Erfahrungen, die wir mit grüner Gentechnologie haben, gemessen an der Evolution sehr klein ist. Ist es nicht geradezu notwendig, Pro und Kontra in einer Angelegenheit, die möglicherweise nicht rückholbar ist, abzuwägen?
Herr Carstensen und Sie von der FDP haben heute wie üblich behauptet, wir seien vorurteilsbehaftet und ideologieverblendet. Es wird langsam langweilig. Es war fast herausragend, dass Herr Heiderich auch einmal ein paar positive Beispiele genannt hat. Ich will Ihnen einige Argumente nennen, die mindestens zum Nachdenken anregen sollten.
Mein Kollege Ernst Ulrich von Weizsäcker hat letzte Woche von dieser Stelle von seiner Reise nach Indien in diesem Monat berichtet. Er traf dort Bauern, die eine gentechnisch veränderte Baumwollart anpflanzen. Dieser Baumwollart wurde ein Gen aus einem Bodenbakterium eingepflanzt, das das Insektizid gegen den ärgsten Feind selbst produziert. Dieses Saatgut ist zwar viermal so teuer wie das bisher verwandte konventionelle; aber die Mittel für die höheren Kosten sollten dadurch wieder hereinkommen, dass die Bauern weniger Pestizide einsetzen müssen.
Diese Rechnung ist nicht aufgegangen; das Gegenteil ist eingetreten. Der Pestizideinsatz der Bauern ist größer geworden, weil auch andere Schädlinge auftraten, und der Ernteertrag war deutlich geringer als beim Einsatz des konventionellen Saatgutes. Den Schaden haben nun die Bauern in Indien, die weit weg von diesem Hause sind. Ich glaube, das muss man berücksichtigen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Bt-Insektengift-Gen ist übrigens eines der Vorzeigeprodukte der grünen Gentechnologie. Auch wird immer propagiert, wie sinnvoll der Einsatz des so genannten Bt-Maises gegen den ärgsten Feind des Maises, den Maiszünsler, sein könne. Man ist zunächst geneigt, zu glauben, dass man im Vergleich zu normalen Maispflanzen weniger Pestizide, also weniger Insektengift, ausbringen muss.
Bt ist übrigens das einzige im ökologischen Landbau zugelassene Gift. Es wird bei Befall der Pflanzen in seiner inaktiven Kristallform auf die Felder versprüht. Erst im Magen der Insekten wird es - diese interessante Variante kennen wahrscheinlich die wenigsten - in die aktive, giftige Form umgewandelt. Wenn es von den Insekten nicht aufgenommen wird, dann wird es vom Sonnenlicht binnen weniger Stunden zerstört; das Gift kann nicht mehr aktiv werden und es bilden sich keine Resistenzen.
Genau das ist der elementare Unterschied zum gentechnisch veränderten Mais; er produziert dieses Gift nämlich ständig in seiner aktiven Form. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Gift nach der Ernte im Pflanzenabfall noch persistent ist. Das führt schlicht und einfach dazu, dass die Gefahr sehr groß ist, dass die Schadinsekten Resistenzen ausbilden. Wenn Resistenzen ausgebildet werden, dann bedeutet das automatisch das Aus für den ökologischen Landbau und die Nutzung des Bt-Giftes.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Röspel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heiderich?
René Röspel (SPD):
Ja.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Heiderich, bitte, Sie haben das Wort.
Helmut Heiderich (CDU/CSU):
Herr Kollege Röspel, da Sie hier über die Frage des Bt-Maises sprechen, sind Ihnen sicherlich auch die Studien aus Nordamerika bekannt, die genau zu diesem Problem der Resistenzen gemacht worden sind. Im Endergebnis hat man in allen Studien festgestellt, dass es selbst dort nicht zu solchen Resistenzen gekommen ist, wo man keine Refuges, also Bt-Mais-freien Zonen, eingerichtet hat. So hat sich das Problem, das Sie eben angesprochen haben, in der landwirtschaftlichen Praxis nicht bewahrheitet.
René Röspel (SPD):
Das stimmt in dieser Konsequenz nicht. Es gibt zwar in der Tat diese Studien, es gibt aber auch andere Studien, die zu anderen Ergebnissen gekommen sind. Das hat dazu geführt, dass die US-amerikanische Umweltbehörde, die für die Zulassung zuständig ist, die EPA, den Anbau von Bt-Mais nur zulässt, wenn ein Insektenresistenz-Managementprogramm nachgewiesen wird. Das wiederum beinhaltet, dass auf 20 Prozent jeder Anbaufläche konventioneller Mais angebaut werden muss. Der wissenschaftliche Beirat bei der EPA hat übrigens einen Anteil von 50 Prozent gefordert, das heißt, man hätte auf der Hälfte der Fläche konventionellen Mais anbauen müssen, um sicherstellen zu können, dass es zu keinen Resistenzen kommt. Gerade aufgrund der Erkenntnisse in den USA, dass es Resistenzen gibt, hat die EPA, die nun wirklich nicht technikfeindlich ist, dieses Management in den USA vorgeschrieben.
An diesem Punkt wird deutlich, dass diese Technologie schlicht und einfach nicht dazu geeignet ist, unter in Entwicklungsländern herrschenden Bedingungen angewandt zu werden. Dort gibt es in der Regel wenig große Flächen. Außerdem setzt diese Technologie ein Vorgehen und eine Kenntnis von Landwirtschaft voraus, die üblicherweise in den kleinbäuerlichen Strukturen nicht vorhanden sind.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es gibt übrigens andere Wege - es wird ja immer nach Alternativen gefragt -: 65 000 Kleinbauern in Bangladesh versuchen künftig, ohne Chemie Landwirtschaft zu betreiben, das heißt auch ohne Abhängigkeit von Importen und großen Konzernen. Sie bauen im Wechsel Früchte wie Zwiebeln, Knoblauch, Rettich, Linsen, Kartoffeln, Kürbisse und Zuckerrohr an. Statt Kunstdünger nehmen sie stickstoffhaltige Hülsenfrüchte oder Wasserhyazinthen; man kann immer noch dazulernen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie bezeichnen in Ihrem Antrag an anderer Stelle - das haben wir heute schon mehrfach gehört - den so genannten goldenen Reis als mögliche Waffe gegen Vitamin-A-Mangel, der ja leider sehr häufig Kinder in der Dritten Welt betrifft. Was ist das nun für ein Reis? In diesen hat man gentechnisch Betakarotinmoleküle eingebaut, die die Vorstufe von Vitamin A darstellen. Die Chemiker und Biologen, verehrte Kollegin von der FDP, wissen, dass Betakarotin ein fettlösliches Molekül ist. Das heißt, Sie können es nur für den Körper verfügbar machen, wenn Sie geeignete fettreiche Nahrung zu sich nehmen. Deswegen essen wir den Salat mit Öl, um diese Moleküle überhaupt mobilisieren zu können. Nun gibt es aber gerade in den Bereichen, wo Vitamin-A-Mangel kombiniert mit anderen Mangelerscheinungen auftritt, keine Möglichkeit, sich fettreich zu ernähren. Das heißt, wer will, dass Golden Rice als Mittel gegen Mangelerscheinungen geliefert und angebaut wird, muss auch für fettreiche Ernährung sorgen, damit dessen Wirkungen überhaupt mobilisiert werden können. Ansonsten wird Betakarotin vom Körper ausgeschieden, ohne dass es in Vitamin A umgewandelt wurde. Das ist schlicht und einfach wissenschaftliche Erkenntnis, die berücksichtigt werden muss. Golden Rice bringt also auch Schwierigkeiten mit sich.
Das Verrückte an dieser ganzen Geschichte ist: Der ursprünglich in den Entwicklungsländern angebaute Reis, der braune Reis, enthält in seiner Schale genug Betakarotin und sogar Vitamin A. Er ist aber von dem in der westlichen Zivilisation bevorzugten weißen Reis verdrängt worden. Dadurch, dass kein brauner Reis mehr angebaut bzw. dieser nicht mehr ungeschält gegessen wird, entstand das Vitamin-A-Problem.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eines ist allen Technologien gemeinsam, die wir in die Dritte Welt exportieren: Sie werden einheimische, standortgerechte, bodenständige, traditionelle Verfahren und Saatgute verdrängen und neue Abhängigkeiten von großen Konzernen der ersten Welt schaffen und wahrscheinlich kleinbäuerliche Strukturen dauerhaft zerstören. Es ist nicht zu erwarten, dass diese teure Technologie den Entwicklungsländern dauerhaft gratis zur Verfügung gestellt wird. Das Eigeninteresse der Industrieländer wird natürlich bestehen bleiben. Einige Kollegen und ich haben das gestern wieder direkt erfahren können.
Wir hatten Besuch von einem Reisbauern aus Thailand. Dieser Besuch wurde vermittelt von einer Organisation, die nicht unbedingt verdächtig ist, der Gentechnik mit Vorurteilen zu begegnen, nämlich von Misereor, dem Hilfswerk der katholischen Kirche. Dieser Reisbauer aus Thailand hat uns nicht nur die Situation seiner Familie, sondern auch die Situation von 5 Millionen Kleinbauern in der Region, in der er lebt, geschildert. Diese Bauern leben vom Anbau des Jasminreises. Das ist ein Reis mit einem besonderen Aroma, der in die USA exportiert wird. Damit erzielen die Bauern einen Teil ihrer Erlöse.
Die USA versuchen nun im Rahmen eines Forschungsprojekts, diesen Reis mit gentechnischen Verfahren an die klimatischen Bedingungen in den USA anzupassen. Gelingt der Anbau in den USA, wird den thailändischen Bauern die Existenzgrundlage entzogen. Dann werden wir wieder eine Debatte führen und uns wahrscheinlich überlegen, mit welchen gentechnischen Methoden wir diesen Bauern helfen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Regelmäßig erscheinen neue wissenschaftliche Arbeiten zu den Auswirkungen der Gentechnologie auf die Umwelt, manchmal mit gegensätzlichen Aussagen: Mendelsohn et al. relativieren in der September-Ausgabe von �Nature Biotechnology� die Auswirkungen von Bt-Pflanzen auf die Umwelt. In Großbritannien gibt es die weltweit größte Studie zu den Auswirkungen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Im Rahmen dieser Studie wird von massiven Auswirkungen auf die Vielfalt von Ackerkräutern und auf die Insektenfauna gesprochen. Wir wissen also nicht eindeutig, welche Folgen das Ausbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen in die Natur haben kann.
Ich habe vor einigen Wochen zusammen mit Herrn Bundestagspräsident Thierse von der Aktion �Mensch� das Ergebnis der Kampagne �www.1000fragen.de� überreicht bekommen. Eine der Fragen hat mich sehr beeindruckt: Dürfen wir ein Spiel spielen, dessen Regeln wir nicht verstehen? Wenn wir nicht wissen, welche Konsequenzen es haben kann, ein Gen aus einem Bodenbakterium in eine höhere Pflanze einzubauen, ist es dann nicht sinnvoller, eher zurückhaltend zu sein? Sollten wir nicht gerade gegenüber den Entwicklungsländern aufhören, zu glauben, dass unsere Technologie besser sei als ihre Tradition?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Mein letzter Punkt. Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass Gentechnik helfen könnte, Pflanzen zum Beispiel gegen Salz toleranter zu machen. Vielleicht sind die Entwicklungsländer schon weiter, als wir glauben. Ein thailändischer Forscher hat sich die 7 000 einheimischen Reissorten vorgenommen und hat 230 Varietäten unter salzhaltigen Bedingungen in seinem Institut angebaut. Vier Sorten haben diese salzhaltigen Bedingungen ertragen. In ihrem Anbau liegt die Zukunft in dieser salzhaltigen Region: ohne Gentechnik und mit Sorten, die die einheimischen Bauern bezahlen können und die sie selbst vermehren können, weil diese Sorten seit Jahrhunderten an die dortigen Bedingungen angepasst sind.
Ich hoffe, ich habe Ihnen ein wenig erläutern können, warum ich glaube, dass wir das Problem der Welternährung nicht technisch lösen können. Die wichtigsten Ursachen haben andere schon erwähnt. Technik hilft da wenig.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/ CSU)