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„Ein Kreisverkehr weniger und eine Krippe mehr“ Bundesfamilienministerin Renate Schmidt ruft zum „lokalen Bündnis für Familien“ auf

19.07.2004

19. Juli 04

Ennepe-Ruhr. „Wir haben nach Luxemburg das höchste Kindergeld in Europa, aber trotzdem die niedrigste Geburtenrate,“ sagte Bundesfamilienministerin Renate Schmidt bei einem Besuch in Witten: „Seit drei Jahrzehnten wurde beim Thema Familienförderung immer nur über Geld geredet.“ Entscheidungen für ein Kind träfen junge Menschen aber nicht „wegen zehn Euro mehr oder weniger“. Deshalb sei es höchste Zeit, die Rahmenbedingungen für Familien wesentlich zu verbessern. Auf Einladung der beiden heimischen SPD-Bundestagsabgeordneten Christel Humme und René Röspel sprach sich die Ministerin bei der Veranstaltung „Baby. Bildung. Boom“ vor 120 Fachleuten aus dem gesamten Ennepe-Ruhr-Kreis und Hagen für die Bildung „lokaler Bündnisse für Familie“ aus.

Christel Humme machte die Notwendigkeit solcher Bündnisse aus einer ganz persönlichen Sicht deutlich. Ihre inzwischen Erwachsene Tochter hatte sie einmal gefragt: „Passt Du denn später auf meine Kinder so auf, wie Oma das mit uns gemacht hat?“ Christel Humme: „Wir haben in den 23 Jahren, die meine Tochter jetzt lebt, offensichtlich alles versäumt, um Familien freundliche Strukturen zu schaffen.“

Junge Menschen Deutschland wünschen sich durchschnittlich 2,4 Kinder, weiß die Ministerin aus Umfragen. Tatsächlich sind es dann 1,29, also gerade die Hälfte. 30 Prozent der Frauen und Männer bleiben kinderlos. In Frankreich sind es nur zehn Prozent. Von den Akademikerinnen haben sogar 44 Prozent keine Kinder. Auf der anderen Seite wären 70 Prozent der „Hausfrauen und Mütter“ gern berufstätig, nach Möglichkeit in Teilzeit. Mit diesen Zahlen machte Renate Schmidt deutlich, dass dringend etwas geschehen muss, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können.

Zum Beispiel durch flexiblere Angebote der Kindertagesstätten, mehr Angebote für unter Dreijährige, besser abgestimmte Busfahrpläne, aber auch durch flexiblere Arbeitszeiten und familienfreundliches Engagement von Unternehmen. „Hier geht es um betriebswirtschaftliche Überlegungen,“ machte Renate Schmidt deutlich. Schon in wenigen Jahren gebe es einen so großen Fachkräfte-Mangel, dass sich keine Firma mehr leisten könne, gut ausgebildete Frauen für zehn Jahre an Herd und Kinderbett zu schicken. Familienfreundlichkeit werde zu einem ernst zu nehmenden Standortfaktor für die Wirtschaft. deshalb dürfe man „Kinder nicht aus dem Erwerbsleben wegrationalisieren.“

Deshalb sollen sich vor Ort neben Stadt und Kindergartenträgern, Eltern und Vereinen auch Unternehmen im „Bündnis für Familien“ engagieren. Deren Aufgabe sei es, zunächst die Defizite in der jeweiligen Stadt aufzuzeigen, um dann nach Möglichkeiten zu suchen, wie man sie ausschalten kann.

Die Spitzenverbände der Wirtschaft würden ihr Anliegen inzwischen unterstützen, sagte die Ministerin: „Wenn mir vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass es bald eine Industrie- und Handelskammer geben werde, die sich um Kinderbetreuung in Betrieben kümmert, dann hätte ich den für einen Spinner gehalten.“ Inzwischen macht die IHK Fulda genau das.

Und auch die SIHK zu Hagen ist dabei, ein entsprechendes Dienstleistungssystem aufzubauen, sagte SIHK-Mitarbeiterin Ingeborg Schulz. Auslöser war übrigens die entsprechende Anfrage eines Unternehmers.

Der Bund habe mit seinem vier-Milliarden-Programm für Ganztagsschulen einen ersten wichtigen Schritt getan. Ab 2005 bekämen die Kommunen jährlich 2,5 Milliarden für den Ausbau der Betreuung. „Wie dieses Geld investiert wird, kann am besten in lokalen Bündnissen beraten werden,“ ist Renate Schmidt überzeugt.

Inzwischen haben sich bereits 64 Bündnisse in Deutschland gegründet, die immerhin zehn Millionen Menschen betreffen. Weitere 184 lassen sich von dem eigens eingerichteten Service-Büro des Ministeriums beraten.

Herdecke könnte die 185. werden. Jugendhilfe-Ausschuss-Vorsitzende Karin Striepen berichtete, dass ein entsprechender Beschluss einstimmig gefasst wurde. Auch Witten könnte bald ein solches Bündnis gründen, teilte Bürgermeisterkandidatin Sonja Leidemann mit.

Natürlich kostet das alles Geld. Überhaupt höre sie immer wieder Klagen der Städte über ihre Finanznot, sagte Renate Schmidt: „Aber wenn ich dann zu einer Veranstaltung durch den dritten neuen Kreisverkehr fahre, frage ich mich, ob es nicht besser wäre, einen Kreisel weniger und dafür eine Krippe mehr zu bauen.“

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